„Ich geb dir nicht nur Rüschen, ich geb dir eine Methode!“

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Maurizio Galante, Canapé Cactus, Cerruti Baleri, 2011 © Foto: Ezio Manciucca

Die Wienerin Tulga Beyerle hat die aktuelle Ausstellung „Isn’t it romantic?“ im Museum für Angewandte Kunst in Köln kuratiert. Thematisiert werden romantische Tendenzen im zeitgenössischen Design. Darüber hat sich BIORAMA mit ihr bei einer Tasse Filterkaffee unterhalten. 

 

BIORAMA: Romantik im zeitgenössischen Design. Das hat viel mit Schwärmerei und Verträumtheit zu tun, mit Poesie und Phantasie. Das machte auch die historische Romantik des 19. Jahrhunderts aus. Damals wandten sich Romantiker gegen die Anfänge der Industrialisierung.

Tulga Beyerle: Genau das ist der Punkt. Romantik hat sich als Gegenmodell verstanden, damals gegen die Aufklärung und die komplette Rationalisierung des Menschseins. Romantik ist eine Suche nach anderen Bereichen des Menschseins, die über die Rationalität hinausgehen, nach dem Irrationalem, dem Unbewussten, der Sehnsucht und vielleicht einer Universalpoesie.

Was hat das für die Romantiker von damals konkret bedeutet, und was bedeutet das heute?

William Morris zum Beispiel könnte man als romantisch bezeichnen. Er war Gründer der Arts and Crafts Bewegung in England, gegen Ende des 19. Jahrhunderts, der hat zum Beispiel die Vereinigung von Gestalter und Handwerker gefordert, das Produkt mit den eigenen Händen zu schaffen…

Also man hat sich damals gegen eine industrielle Entfremdung gewendet?

Ganz genau. Gegen Entfremdung, gegen Arbeitsteilung. William Morris ist damit aber gescheitert, denn die Produkte wurden unerschwinglich teuer. Deshalb ist mein Punkt zu zeigen, dass Design als eine Disziplin, die überhaupt erst aus der Industrialisierung heraus entstanden ist, wie geschaffen ist, um zwei Aspekte zu vereinen: das Rationale und das Emotionale. Wenn Designer heute romantische Dinge schaffen, dann geben sie deshalb ihre rationale Arbeitsweise nicht auf. Die werden nicht plötzlich schwärmerisch.

Studio Makkink & Bey, Birdwatch cabinet (for girl), 2006 © Studio Makkink & Bey

Studio Makkink & Bey, Birdwatch cabinet (for girl), 2006 © Studio Makkink & Bey

Also arbeiten viele zeitgenössische Designer ganz bewusst emotional und romantisch?

Naja es ist ja nicht so, als hätten die Designer dieser Ausstellung eine romantische Bewegung oder so etwas unter sich geschlossen. Die Ausstellung diskutiert Design lediglich unter diesem Aspekt.

Das heißt, die gezeigten Designerinnen und Designer haben sich zum Teil selbst gar nicht unbedingt als romantisch gesehen?

Genau. Viele haben gesagt: So habe ich das noch gar nicht gesehen, aber du hast da irgendwie Recht.

Was macht denn Design zu romantischem Design?

Da gibt es zum Beispiel die Arbeiten der deutschen Designerin Julia Lohmann. Die sind sehr eigenwillig und ich habe Jahre gebraucht, um einen Zugang zu finden. Sie romantisiert etwas, indem sie überhöht, oft auch ganz Banales. Zum Beispiel gießt sie kleine, tote Mäusebabies in Porzellan und überhöht damit den Leichnam, den Kadaver, dieser Massen-Labortiere. Viele ihrer Arbeiten verweisen auf etwas sehr beunruhigendes. Zum Beispiel hat sie für ihre Skulptur „The Lasting Void“ den Innenhohlraum des Brustkorbs eines frisch geschlachteten Kalbes ausgegossen. Letztlich ist das ein Hinweis auf die gesamte industrielle Massentierhaltung und Fleischverarbeitung. Also subkutan schleust sie da etwas hinein, das wahnsinnig schön ist, aber eigentlich, naja…ganz anders.

Steht hinter modernen Romantik-Bezügen im Design generell eine Gesellschaftskritik, ein Unbehagen gegenüber der Welt?

Ich glaube schon, dass man sagen kann, dass das alles mit einem wachsenden Unbehagen gegenüber aktuellen Entwicklungen zu tun hat. Auch die Film- und Gaming-Entwicklung hat mit dem gleichen zu tun. Es werden Fluchtorte geschaffen. Ob ich mir einen Harry Potter oder Lord of the Rings ansehe, oder andere fantastische Märchenwelten in Computerspielen, man sieht überall diese Rückzugsorte. Das hat damit zu tun, dass man sich offensichtlich irgendwie unwohl fühlt mit vielem, was in der Welt passiert.

Hella Jongerius, Vier Jahreszeiten, 2007 © Porzellan Manufaktur Nymphenburg

Hella Jongerius, Vier Jahreszeiten, 2007 © Porzellan Manufaktur Nymphenburg

Was folgt daraus für zeitgenössisches Design? Wird bestimmten Entwicklungen auch aktiv etwas entgegengestellt?

Ja, durchaus. Zeitgenössisches Design weist vielfach auf Wege zur Selbstermächtigung der Menschen hin. In einigen der Arbeiten bin ich auf Angebote stoßen, die sagen: Man könnte vieles auch anders und vor allem selber machen.

Schwingen Designerinnen und Designer da vielleicht auch eine sehr ästhetische Moralkeule?

Ich empfinde Designer nicht als moralisch. Das ist vielleicht gemein gesagt, weil sich viele schon Gedanken über vieles machen. Aber wo ist die Moralkeule? Wenn Formafantsama zum Beispiel Schüsseln aus Mehl entwickeln und entwerfen, dann stellen sie dir ein Material zur Verfügung, mit dem du dir selbst eine Schüssel backen kannst. Deshalb sagen sie aber nicht: du darfst nie wieder eine Plastikschüssel benutzen. Also die Moralkeule eines Dieter Rams oder so, die sehe ich aktuell nicht. Aber ein gewisses Bewusstsein, ja, das gehört zum Design einfach dazu.

Wenn man im Internet auf Designseiten herumsurft, Blogs wie Freunde von Freunden, Apartmet Therapy oder The Selby ansieht, dann meint man, überall sehr individuelle, eklektische Rückzugsorte zu entdecken, und man hat das Gefühl, es gilt wieder als sehr cool, sich ein besonders schönes Stück aus der Sammlung der Großeltern aufzustellen…

Ja ganz genau. Man traut sich auch wieder, seinen eigenen Stil zu finden. Und auch im kommerziellen Luxussegment wird individuelles Design wieder gefragter, das sehen wir zum Beispiel ganz deutlich bei Luxushotels. Die Zeit schicker, karger, slicker Designhotels mit riesigen Sofas, die alle gleich aussehen, und bei denen man schon gar nicht mehr weiß, ob man gerade in Wien oder Paris ist, die ist auch vorbei.

Max Lamb, Crockery, 2012 © 1882 Ltd.

Max Lamb, Crockery, 2012 © 1882 Ltd.

Und das wird sich noch verstärken?

Ich weiß nicht ob sich romantische Trends verstärken werden. Im Grunde hat es das ja immer gegeben. Als ich jung war, waren blumige Laura Ashley Kleider aktuell, und die Hippies waren letztlich auch Romantiker. Romantische Sehnsüchte hat es immer gegeben.

Aber es gibt Zeiten, in denen so was einfach als Kitsch empfunden wird, und Zeiten, in denen…

…Romantik als aktuelles und authentisches Lebensgefühl wahrgenommen wird. Das ist absolut richtig.

Es verschwimmt also aktuell ein kommerziell geprägter Massengeschmack und individuelles, emotionales Design wird aktuell?

Ja die konzeptionellen Arbeiten der Designer zeigen Alternativlösungen. Sie zeigen: Es gibt mehr als nur die industrielle Fertigung.

Darin liegt offenbar eine Parallele zur Romantik des 19. Jahrhunderts. Wieso kommt es dazu?

Ich denke natürlich schon, man könnte ganz grob sagen, die Romantik ist damals an der Schwelle zur Industrialisierung entstanden, und heute stehen wir an der Schwelle zu einer Digitalisierung. Da gibt es eine Parallele auch beim Unwohlsein gegenüber diesen neuen Geschwindigkeiten. Dieser Rückgriff auf die Romantik, bei Beibehaltung ganz moderner designerischer Methoden, das alles passiert ganz und gar nicht zufällig jetzt.

Aber hätte es nicht vor zwanzig Jahren schon genau so dazu kommen können?

Nicht in dieser Form. Damals war es eher ein romantisches Träumen. Mein Argument ist ja, dass im zeitgenössischen Design Aspekte miteinander verbunden werden. Es wird hier sozusagen eine neue Methode geschaffen, bei der Emotionalität und Rationalität verbunden werden. Ich geb dir nicht nur Rüschen, ich geb dir eine Methode, die etwas Romantisches in sich trägt. Ich zeige dir einen neuen Weg, der zwei Aspekte von Menschsein verbindet…

Maxim Velcovsky, Waterproof Onion, Qubus, 2004 © Foto: Marek Novotny

Maxim Velcovsky, Waterproof Onion, Qubus, 2004 © Foto: Marek Novotny

War nicht das Häkeln am Kaminfeuer vor 150 Jahren auch schon rational und emotional?

Schon, aber es entstand dadurch nichts Neues. Heute entsteht da ein neues Bewusstsein für ganz andere Produktqualitäten. Es entsteht das Verlangen nach Techniken, die man selbst begreifen und beherrschen kann, im Gegensatz zur Digitalisierung und dem damit verbundenen Verlust des analogen Begreifens. Es wird hier ein Angebot an Objektkultur gemacht, die dich anders anspricht, als eine Kultur bei der jede Sekunde ein Plastikteil aus einer industriellen, digitalen Maschine geschossen wird. Und das ist sicherlich relevant für die Zukunft und auch relevant für nachhaltige Entwicklungen.

Im Katalog zu Ihrer Ausstellung wird immer wieder die Parallele zur Melancholie der klassischen Romantik gezogen. Ich sehe in der Ausstellung eher Ausdrücke von Zuversicht und Schaffensdrang…

Sie sind offensichtlich nicht melancholisch. Und ich halte auch Designer prinzipiell für nicht sehr melancholisch. Das widerspricht ihrem Schaffensdrang und ihrem Wunsch zu gestalten und zu verändern. Da gibt es eine Zuversicht in diese Welt. Die Frage ist viel eher, ob der Mensch an sich angesichts bestimmter Veränderungen und Bedrohungen dazu neigt, melancholisch zu sein und deshalb diesen Rückzugsort zu wählen, um dort seine Traurigkeit auszuleben. Das wird dann natürlich vom Markt aufgegriffen. Aber bei Designern selbst sehe ich eher kritisches Betrachten, Bewusstsein, Sensibilität, Achtsamkeit, aber alles getragen von einem großen Wunsch und einer Lust, zu verändern, zu verbessern. Und das ist positiv und optimistisch.

 

Isn’t it romantic? Zeitgenössisches Design zwischen Poesie und Provokation
Museum für Angwandte Kunst Köln

noch bis 21. April 2013

www.museenkoeln.de

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