„San Agustin“: Gefangen zwischen Plastik und Gemüse

Bild: Screenshot von "San Agustin"

Bild: Screenshot von „San Agustin“

„San Agustin – Ebbe im Plastikmeer“ ist ein Dokumentarfilm über das „Mar del Plástico“ in Andalusien und porträtiert zwei Familien, die dort ihren Betrieb haben. Die Kinotour zum Film startete in Wien und BIORAMA hat sich dabei mit Regisseurin Gudrun Gruber unterhalten.

Gudrun Gruber, Alexander Hick und Michael Schmitt studieren an der Hochschule für Film und Fernsehen in München Regie. Da die drei ähnliche Ideen für eine Arbeit hatten, reisten sie gemeinsam für zwei Monate nach Andalusien, um dort im Rahmen eines Studienprojekts einen Film zu machen. Am 25. September feierte der Film in Wien Premiere.

Bild: Screenshot aus "San Agustin"

Bild: Screenshot aus „San Agustin“

In neun Kapiteln werden zwei Familien porträtiert: die des Bauers José Maria mit ihrem Gemüsebetrieb und die Familie Crespo, die mit Gemüse, Ziegen und riesigen Komposthaufen versucht, über die Runden zu kommen. Hinzu kommt noch Paco, der Besitzer der Dorfkneipe, der viel mit den Arbeiter und Arbeiterinnen in den Gewächshäusern zu tun hat und von den Problemen ebenfalls nicht befreit ist.

„San Agustin“ setzt sich mit der Krise und den davon betroffenen Menschen im größten Gemüseanbaugebiet der Welt auseinander. Immer mehr billigere Anbieter drücken den Preis, die Bauern treibt das in den Ruin. Was einst ein Symbolort einer gemeinsamen Wohlstandsidee von immer verfügbarer und frischer Billigware war, ist heute ein Stellvertreter der Wirtschaftskrise. Es herrscht Ebbe am Plastikmeer. Kontinuierlich beleuchtet der Film die Situation aus Sicht der Spanier.

Bild: Screenshot aus "San Agustin"

Bild: Screenshot aus „San Agustin“

BIORAMA: Der Film wurde in Andalusien gedreht und zeigt das „Mar del plástico“ sowie touristische Gebiete. Wie kann man sich das Land dort vorstellen?

Gudrun Gruber: Das Mar del plástico nimmt einen sehr großen Teil der Fläche dort ein. Natürlich gibt es neben den Gemüsehäusern auch touristische Städte. Direkt daneben eigentlich ist das Roquetas de Mar zum Beispiel, eine von den touristischen Städten. Die Küste hinauf wird das immer mehr, wie Benidrom, was ebenfalls im Film gezeigt wird. Einerseits ist das ein riesen Gegensatz, weil das eine ein Vergnügungspol ist und das andere ein wirtschaftlicher Produktionsort, wo Gemüse entsteht, das wir dann essen sollen. Wir haben aber auch gesehen, dass sich die beiden Gebiete sehr ähneln und dass wir diese Seite von Europa sehr erschreckend finden. Was sich da in der Peripherie abspielt, die man normalerweise nicht sieht, wird leicht verborgen. Als spanischer Tourist ist es normal in solche Beton-Burgen zu kommen. Aber ich persönlich finde es besonders schrecklich, was sich an den Rändern von Europa abspielt, weil das sagt immer viel über das Zentrum aus.

Die wirtschaftliche Krise ist auch im Toursimus zu spüren …

Ja! Wenn man sich die spanische Immobilienblase ansieht und die riesigen Ferienanlagen, da weiß man gar nicht, wohin das führen soll. Wir haben auch während dem Dreh in einem dieser Anlagen gewohnt. Das war in einem Gebiet, wo alles Beton ist und trotzdem war alles leer. Wir haben von Mai bis Anfang Juli dort gewohnt und kaum jemanden getroffen, das ist wie eine Geisterstadt. Der deutsche Dokumentarfilm Casas para todos porträtiert diese leeren Ruinen in diesem Gebiet. Da steckt genau das selbe Problem!

Einer der Hauptpersonen im Film, José Maria, sagt einmal im Film „Da ist etwas faul“. Was genau ist denn faul?

Wir haben ihn natürlich oft Suggestivfragen gestellt, während wir gedreht haben, weil wir auf Film gedreht und deshalb wenig Material hatten. Wir mussten uns überlegen, wie wir die Fragen stellen, so dass wir José Marias ehrliche Meinung, die wir natürlich kannten, auch einfangen konnten. Ich denke er spricht schon darauf an, dass es vollkommen absurd ist, wie er da arbeitet. Er möchte eigentlich so produzieren, dass er für Leute in seinem eigenen Umfeld produziert, wie bei Regionalproduktionen. Da er der Sohn einer Mutter ist und mit acht Jahren schon dort angefangen hat zu arbeiten, hat sich das alles so entwickelt und kann da nun nicht mehr aussteigen. Das „da ist etwas faul“ bezieht sich auf die Art des Lebens, weil er ja das leben muss, weil er von der Wirtschaft gezwungen ist, von Europa, von allem. Das findet er auch schrecklich und sieht man auch. Trotzdem ist es sein Leben, sein Alltagsleben.

Bild: Screenshot aus "San Agusitn"

Bild: Screenshot aus „San Agusitn“

Gemüseanbau in südlichen Gebieten ist nichts Neues und die Menschen kennen die Situation dort. Was hat sich dennoch in der letzten Zeit dort verändert?

In dem Gebiet wird heute viel Bio angebaut – das heißt sie verwenden keine chemischen Düngemittel, aber benützen trotzdem dieselbe Erde und dieselben Flächen. Vor ca. zehn Jahren sind die Arbeiter und Arbeiterinnen reihenweise umgefallen, weil so starke Pestizide verwendet wurden. Die stärksten und härtesten Pestizide sind heute verboten worden, eine ganze Reihe davon. Als ich hingefahren bin, wusste ich gar nicht, dass so viele Pestizide verboten wurden und ich hatte die Vorstellung, dass mir nach ein paar Stunden vor schlechter Luft schwindelig wird. Das war zum Beispiel gar nicht der Fall! Aber in den Gewächshausgebieten gibt es dennoch ein paar Familien, die das trotzdem so machen. Familie Crespo, die zweite Familie, die im Film vorkommt, verwendete beispielsweise Pestizide, aber es sind nicht die, die von der EU verboten sind.

Wenn alle so unglücklich sind und keiner mehr Geld bekommt, wie soll es dann dort in der Zukunft weitergehen?

Die Frage steht eigentlich im Zentrum des Films. Sie haben dort alle das Gefühl, dass der Zenit überschritten ist. Sie haben am Papier viel Besitz mit den Gewächshausern, aber de facto kann sich zum Beispiel José Maria heute gar nichts mehr leisten. Flüssig hat der überhaupt kein Geld, gar nichts. Die Gewächshäuser werden irgendwie weiter erhalten, doch privat haben sie nichts.
Die paar Cent für das Gemüse sind nichts wert und die Leute arbeiten trotzdem wie verrückt. Die Besitzer sind genau so am Ende, wie die Arbeiter selbst. Auf beiden Seiten ist totale Unsicherheit. Die noch billigeren Anbieter werden so stark, dass die sie sie in den Ruin treiben – wie Marokko und Israel zum Beispiel. Die Situation ist so katastrophal, dass sie gar nicht wissen wie es weitergehen soll und ich weiß es auch nicht. Diese Frage steht nun im Raum.

SanAgustin_Poster

 

San Agustin – Ebbe im Plastikmeer

Kinotour:

Wien: Schikaneder ab 26.9.2014
Berlin: Babylon ab 23.10.2014
Nürnberg: Filmhaus ab 26.10.2014
München: Monopol ab 29.10.2014

www.sanagustin-film.com

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