Die Problematik des Immer-alles-sofort-haben-Wollens

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BILD Matthias Hombauer

Rahim Taghizadegan ist Ökonom – und der Wirtschaftsphilosoph hinter Roland Düringer. Bisweilen wurde er fallweise als neoliberal abgekanzelt, so wie manche über Düringer lachen. Anlässlich Düringers neuem Buch »Abschied vom Schlaraffenland – die Kunst des Weglassens« erklären beide, warum Weglassen wichtig ist.

 

BIORAMA: Herr Düringer, als ich per Facebook verlautbarte, Sie sprechen zu dürfen, meinte ein Bekannter, der früher in der Occupy-Bewegung aktiv war: »Roland Düringer ist eines meiner Idole, weil er sieht, dass wir an die Wand fahren – und selber draus die Konsequenzen zieht, sein Leben umkrempelt.« Haben Sie mit der Occupy-Bewegung noch in irgendeiner Form Kontakt?

Roland Düringer: Gar nicht!

Rahim Taghizadegan: Gibt’s die noch?

RD: Weiß ich gar nicht! Ich war einmal nach meiner Wutbürger-Rede (Anm.: im Rahmen der TV-Show »Dorfers Donnerstalk«) bei einer Veranstaltung der Bewegung  am Stephansplatz. Es war im Winter und es war ziemlich kalt, ich bin mit meiner Frau hin und hatte befürchtet, dass es sich dort ziemlich abspielen wird. Dann war das aber ein bisschen eine traurige Veranstaltung. Es gab eine kleine Bühne und vielleicht 50 bis 60 Menschen, die davorstanden. Die haben aber behauptet, sie sind 99 Prozent. Da sind wir natürlich weit davon entfernt.

Ich würde gern kurz noch bei dieser Überschrift »Wir fahren gegen die Wand« verweilen. Als Wirtschaftsjournalist hört man in den letzten fünf Jahren ja allerlei. Etliche Vertreter der Ihnen, Herr Taghizadegan, nahestehenden österreichischen Schule der Nationalökonomie sagen etwa: Was wir jahrzehntelang vorausgefressen haben, müssen wir nun nachhungern. Warum aber fahren wir eigentlich »gegen die Wand«?

RT: Das hat im Wesentlichen Gründe im Geld- und Bankensystem. Die Problematik ist die, dass das, was wir als Wohlstandsentwicklung wahrnehmen, keinen realwirtschaftlichen Hintergrund hat. Ob das dann wirklich eine Wand sein wird, ist keine ökonomische Frage – aber diese Art von Wachstum ist nicht nachhaltig, das kann man auf jeden Fall sagen.

Und dennoch sind es nur ganz wenige, die über derlei nachdenken, geschweige denn irgendwas tun, so wie Sie. Warum spüren »es« die Menschen noch nicht so, weil es uns noch immer »zu gut geht«?

RD: Nein, ich denke, spüren tun es schon viele. Jetzt eben, als ich mit dem Zug gefahren bin, habe ich mit einem jungen Burschen geplaudert. Über ähnliche Themen. Daneben saß eine junge Dame, die zuerst mit ihrem iPhone gespielt und dann begonnen hat, uns zuzuhören. Plötzlich meinte sie: »Darf ich kurz vielleicht auch etwas sagen? Es ist sehr interessant was Sie sagen, ich arbeite bei einer Versicherung und verkaufe den Menschen Pensionsvorsorge. Und wir alle bei der Versicherung wissen, dass die das nie wiederbekommen werden.« Die sind ja auch nicht blöd und können sich das ausrechnen – nur kann die arme Frau als Teil dieses Systems natürlich nicht sagen, sie macht da nicht mehr mit und kündigt, weil dann kann sie vermutlich ihre Familie nicht mehr versorgen. Es ist also jeder unter Zugzwang, er muss mitspielen, obwohl ohnehin alle wissen, dass es nicht mehr so geschmeidig ist, wie man sich das mal vorgestellt hat.

Oft wird auch gesagt, wir hätten über die Verhältnisse gelebt. Da schreien dann meistens alle laut auf – obwohl wir uns etwa im Schnitt jeder 500 Kilo bestes Rindfleisch im Monat leisten könnten, ein historisch einmaliger Umstand. Aber sie rufen: Ich habe nie über meine Verhältnisse gelebt, ich habe hart gearbeitet. Wo spürt man denn die tatsächlichen Verhältnisse im Alltag?

RT: Ich glaube, dass der reale Wohlstand schon seit geraumer Zeit nicht mehr steigt und die Leute das Gefühl haben, dass es eher enger wird, zumindest bei den unteren Einkommen. In der Tat sehen wir ein Auseinandergehen zwischen Reich und Arm. Deswegen kann man das natürlich auch leicht als zynisch wahrnehmen, wenn einer sagt »Du hast über die Verhältnisse gelebt«. Das Problem ist aber, dass ja Kapital aufgezehrt wurde, und das ist etwas, das man erst sehr langfristig zu spüren beginnt. Es ist also nicht unbedingt eine Moralpredigt für den Einzelnen, kein »Du hättest sparsamer leben sollen«, sondern es ist mehr die Kritik an einer Geisteshaltung, die in einer Gesellschaft bestimmend ist. Und das ist leider eine Geisteshaltung der extremen Kurzfristigkeit.

Das gilt ja dann im Prinzip nicht nur für Geld-Kapital, sondern auch für natürliche Ressourcen, wie fossile Rohstoffe?

RD: Genau. Ich glaube, dass wir nun Rechnungen präsentiert bekommen, die jetzt so nach und nach eintrudeln. (lacht) So als eine Art Blauer Brief im Postkasten – Freunde, ihr seid noch was schuldig! Wenn wir etwa bei dem Rindfleisch-Beispiel bleiben: Wenn sich die Menschen so viel Rindfleisch wie nie zuvor leisten können, dann muss auch klar sein, dass irgendjemand draufzahlt. Das sind in erster Linie einmal die Tiere, die haben keine Lobby, aber auch viele andere zahlen drauf. Letztlich auch der, der so viel Fleisch konsumiert, weil er sich damit nichts Gutes tut. Was uns fehlt ist also das Gefühl fürs rechte Maß, was tut uns gut, was schadet uns.

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BILD Matthias Hombauer

Kommen wir zu ihrem Buch »Wirtschaft richtig verstehen«, Herr Taghizadegan. Da schreiben Sie, Supermärkte sind ein kleines Wunder, was Logistik und Warenangebot betrifft. Bei Ihnen klingt das anders, Herr Düringer, da steht im neuen Buch: »Beim Betreten eines Supermarktes habe ich manchmal das Gefühl, ich betrete eine geschlossen Anstalt. Deswegen meide ich solche Orte.« Unterscheiden Sie sich da in ihrer Befindlichkeit, was unsere modernen Konsumtempel betrifft?

RT: Naja, ich finde es ist vereinbar, die logistische Leistung zu würdigen, aber auch zu sagen, man fühlt sich dort nicht wohl.

RD: Es ist total toll, was die leisten! Dass an allen Orten der Welt immer alles zur rechten Zeit verfügbar ist. Oder, dass es um 17 Uhr noch frisches Brot gibt. Was aber nicht heißt, dass mich das beeindrucken muss – weil ich es nicht brauche. Ebenso beeindrucken mich auch Formel-1-Autos nicht, obwohl es technisch das schnellste Auto ist, das man bauen kann. Und wenn ich in einen Supermarkt gehe, ist mein Gehirn schlichtweg überfordert. Ich sehe dort zu viele bunte Sachen, ich höre zu viel Lärm und muss dann raus. Und, ich habe immer das Gefühl, wenn ich dort etwas kaufe, dass ich irgendjemand finanziere, denn ich gar nicht finanzieren will. Einen Konzern, eine Bank – was auch immer. Irgend so jemand verdient dann, wenn ich mir dort eine Semmel kaufe, mit. Wenn ich mir hingegen beim Bauern ein Landbrot kaufe, weiß ich, mein Geld bekommt dieser Bauer.

Sind diese Konzerne, die Herr Düringer da anspricht, diese Machtkonzentration der, sagen wir, 500 größten Konzerne und Banken, nicht tatsächlich ein Riesenproblem? Können die nicht die an sich sinnvollen Spielregeln des Marktes durch ihre Macht verändern wie sie wollen, was sagt da der Ökonom der österreichischen Schule?

RT: Ja, aber diese Regeln werden doch über die Politik beeinflusst und gestaltet! Dass sozusagen aus der Wirtschaft selbst ein Konzentrationsmechanismus entsteht, da bin ich sehr skeptisch. Der größte Teil dieser Konzentrationen in unserer Welt sind klar auf die starke Verzerrung und Begünstigung von großen Strukturen zurückzuführen. Wenn man sich anschaut, was seit den Weltkriegen alles an kleinen Einheiten zerstört wurde und an künstlichen Belohnungen für große Strukturen geschaffen wurde ist es kein Wunder, dass die Welt so aussieht. Ich habe aber leider auch keine Alternativen dazu, um hier große Gegenversprechungen machen zu können.

Erlauben Sie mir ganz zum Schluss die Frage: Sorgen Sie eigentlich auch vor, wie der Herr Düringer in seinem Streben nach Unabhängigkeit? Im Sinne von Kartoffelacker anlegen?

RT: Also ich mache mir schon mehr Gedanken darüber, bin aber keineswegs so weit wie der Roland. Ich bin auch nicht ganz so skeptisch, dass die Arbeitsteilung auf so ein tiefes Niveau herunterfällt, dass wir wirklich zur Lebensmittelautarkie zurückkehren. Ich glaube das nicht, halte es aber dennoch für sinnvoll, sich etwa damit auseinanderzusetzen, wo das Essen herkommt. Aber das ist für jeden eine persönliche Entscheidung, ich lebe ja noch in einem sehr urbanen Kontext. Um mich selbst mache ich mir sehr wenig Sorgen, ich bin jung und gesund und komme mit relativ wenig aus.

RD: Wenn ich wenig brauche, kann rund um mich relativ viel zusammenbrechen, weil ich eh nicht mehr brauche. Wenn ich aber viel brauche, und das fällt weg – dann ist es dramatisch.

 

AD PERSONAM

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BILD Matthias Hombauer

Rahim Taghizadegan ist Gründer des Wiener Instituts für Wertewirtschaft und bezeichnet sich selbst als Wirtschaftsphilosoph. Er ist ein Vertreter der »Wiener Schule für Nationalökonomie« (auch Österreichische Schule genannt), die auf Wirtschaftswissenschaftler wie Carl Menger und später auch Ludwig von Mises zurückgeht. Seit einiger Zeit erlebt diese Denkschule, die sich strikt gegen staatliche Interventionen im Wirtschaftsleben richtet, in den USA ein Revival.

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BILD Matthias Hombauer

Roland Düringer ist Kabarettist und Systemkritiker. Am 2. Jänner 2013 hat er mit einem Selbstexperiment begonnen: dem Versuch, ein Leben wie vor 40 Jahren zu führen – ohne Handy, ohne E-Mail, ohne Auto, ohne Fernseher, Supermarkt, Kredit-und Bankomatkarte. Seine Erfahrungen hat er jetzt in seinem Buch »Leb wohl Schlaraffenland – Die Kunst des Weglassens« (edition a) dokumentiert. Fortlaufendes Videotagebuch: www.gueltigestimme.at

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