Wer säen will, muss ernten

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BILD Stefan Knittel

Saatgut ist theoretisch in aller Munde. Praktisch züchtet Reinhild Frech-Emmelmann in ihrem Waldviertler Unternehmen Reinsaat seit über 15 Jahren samenfestes Bio-Saatgut.

Saatgutgärtnerinnen dürfen ihr bestes Gemüse nicht aufessen, sondern müssen warten, bis es austreibt, blüht und die Samen abreifen. Die neue Mangoldsorte »Jessica«, die Reinhild Frech-Emmelmann über die letzten Jahre entwickelt hat, will sie uns zeigen. Die Sonne brennt auf die 13 Gewächshäuser. Darin wachsen meterhohe Pflanzen in kleinen Abschnitten, durch engmaschige Vliese getrennt, in denen Hummeln und andere Insekten ihre Bestäubungsarbeit verrichten. Die Reinsaat-Chefin schlüpft durch die Reihen einer weit über zwei Meter hoch aufschießenden Pflanzenart. Wir sollen raten, worin wir gerade stehen, von Kopf bis Schuh in gelben Blütenstaub gehüllt. Keine Ahnung. Aber der Blick Richtung Erde hilft: Tatsächlich Mangold, ausgetrieben, blühend, auf dem Weg zur Samenreife.

Jahrelange Entwicklung

Beim Mangold »Jessica« hat es mit ein paar ungewöhnlichen Pflanzen begonnen. »Die waren kompakt, wie Pak Choi, hatten strahlend weiße Stiele, ledrige Blätter«, und genau diese Pflanzen wollte Frech-Emmelmann haben. Aus vielen tausenden Exemplaren wurden nur wenige selektiert, zur Reife gebracht, wieder angebaut, wieder selektiert. Das Beispiel verdeutlicht, worauf es der im Ton sanften, aber in der Sache energischen Reinsaat-Chefin ankommt: »Vielfalt ist wichtig. Mir geht es aber nicht darum, etwas museal zu bewahren, sondern Gemüsesaatgut anzubieten, das in die Zeit passt, Ertrag liefert, anpassungsfähig ist.« Seit 1979 lebt die gebürtige Süddeutsche im Waldviertel. Seit 1981 betreibt sie hier Demeter-Landwirtschaft. 1998 gründete sie Reinsaat, »weil die Bio-Bauern mich gefragt haben, ob ich ihnen Saatgut machen kann«. Heute kennt wohl jeder Bio-Gemüsebetrieb »die Reinsaat«.

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BILD Stefan Knittel

Hier wächst die Bio-Elite 

Wie aufwendig die Saatgutproduktion der inzwischen 600 verschiedenen Sorten ist, sieht man nicht nur am Mangold, sondern z.B. auch an Kohl, Karotten oder Artischocken. Die Pflanzen werden im ersten Jahr am Feld gezogen, dann zur Vollreife die schönsten und besten samt Wurzeln vom Feld ins Gewächshaus transferiert. Im zweiten Jahr dann dürfen sie unter geschützten Bedingungen, die auch unabsichtliche Verkreuzungen verhindern sollen, blühen und abreifen. Während dieser Phase sind die wiederum besten Pflanzen als »Elite« beschildert. Jenes Top-Saatgut also, das der weiteren Vermehrung bei einem der Partner-Bio-Betriebe von Reinsaat in Österreich und darüber hinaus dient. Daraus entsteht dann erst das samenfeste, nachbaufähige Standardsaatgut, das man als gewerbliche Gärtnerin oder Hobby-Gärtner bei Reinsaat kaufen kann. »Bio-Saatgut sollte man vom Berg ins Tal bringen«, sagt Frech-Emmelmann. Saatgut, das unter erschwerten Bedingungen wie hier auf 500 Meter Seehöhe im Waldviertel, bei oft wochenlangen Trockenperioden, Wind und Kälte, optimale Ergebnisse bringt, sollte in niederen oder Gunstlagen nämlich gar keine Probleme haben.

Samenfest heißt stabil 

Was die Unterschiede zu konventionellem Saatgut sind? »Wir produzieren samenfeste Sorten«, erklärt sie, »wir schöpfen damit aus dem Erbgut der Gemüse unserer Vorfahren«. Hybridsorten (erkennbar an der Abkürzung »F1« hinter dem Sortennamen), die in der konventionellen Landwirtschaft längst überwiegen und auch im Bio-Bereich oft die (laut EU-Bio-Verordnung erlaubte) Norm sind, bringen nur beim einmaligen Anbau in einer einzigen Saison die gewünschten Ergebnisse. Samenfeste Sorten dagegen sind das Ergebnis einer langjährigen züchterischen Selektion, die Sorte muss stabil sein, aber auch die nächste Generation die gleichen, gewünschten Merkmale ausprägen.

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BILD Stefan Knittel

Reinsaat unterstützen

Je nach Gemüseart werden die Früchte, Kapseln, Schoten im Spätsommer und Herbst reif geerntet und daraus Saatgut gewonnen. Trocken, wie z.B. bei Kohl und Salat, durch Dreschen und Versieben. Nass, bei Gurken und Tomaten, durch kurzes Fermentieren des Fruchtfleisches (um eine keimhemmende Haut um die Samen herum zu entfernen), Auswaschen und anschließendes Trocknen. Außerdem muss von jeder Partie eine Keimfähigkeitsprüfung durchgeführt werden. Diese Prozesse sind zeitaufwendig und damit teuer. Die Räumlichkeiten rund um den Hof reichen dafür nicht mehr aus. Frech-Emmelmann will mit ihrer Reinsaat weiterwachsen und bietet deshalb die Möglichkeit, sich durch Genussscheine oder Darlehen am Betrieb zu beteiligen: »Es reicht nicht, gegen Monsanto zu schimpfen, man muss schon etwas tun.« Eine neue Saatgutaufbereitungshalle, neue Maschinen und Lagermöglichkeiten sollen gekauft und gebaut werden.

Guter Geschmack braucht Jahre

Neben Mangold, Karotten und Salat sind Paprika, Chilis und Paradeiser immer schon die Liebkinder von Frech-Emmelmann. Bei Gemüse ist vor allem die geschmackliche Selektion entscheidend. Das kann Jahre dauern und macht die Bio-Saatgutproduktion von Reinsaat so außergewöhnlich: Jegliche Abkürzung wird abgelehnt, die Pflanzen dürfen und müssen wachsen, reifen und ihre Nachkommen den gleichen Zyklus durchleben. Bis sie nicht nur überlebensfähig sind, sondern die besten ihrer Art.

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BILD Stefan Knittel

Samenfestes Bio-Saatgut

Das Saatgut von Reinsaat gibt es im Online-Shop, außerdem in vielen Bio-Fachgeschäften. Katalogbestellung und Online-Katalog auf  www.reinsaat.at

Das »Handbuch Samengärtnerei. Sorten erhalten, Vielfalt vermehren, Gemüse genießen« von Andrea Heistinger, Arche Noah, ProSpecieRara (Hrsg.) ist im Löwenzahn Verlag erschienen.

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