Real Slow Food – Weinbergschnecken aus der Zucht

Der Farmer mit seinen Schnecken. Bild: Andreas Gugumuck

Der Schneckenfarmer Andreas Gugumuck züchtet am Rande Wiens die „Wiener Schnecken“ für die Gastronomie, Wissenschaft und Privatkunden. Er verfolgt damit den auch den Slow-Food-Gedanken und bastelt mit anderen an einer Art „Future Farm“, auf der die zukünftige menschliche Ernährung erforscht werden soll, die unter anderem auch auf Schnecken und Insekten baut.

BIORAMA: Sollten die Menschen eher Schnecken essen?

Andreas Gugumuck: Die Schnecke ist aus dreifacher Sicht anderen Tieren zu bevorzugen.

Erstens braucht man viel weniger Ressourcen, weniger Land, weniger Futter zur Aufzucht.

Zum Vergleich: Ein Kilo Muskelfleisch Rind braucht 14 kg Kraftfutter, ein Kilo Schweinefleisch 8 kg, Geflügel 4 kg. Insekten und Schnecken nur 2kg. Es sind Kaltblütler die brauchen keine Energie zu verbrennen.

Es ist auch gesünder diese zu essen. Der Mensch hat im Prinzip schon immer Schnecken gegessen, schon seit der Steinzeit. Und je länger etwas auf dem Speiseplan steht, umso gesünder ist es auch.

Ein Gegenbeispiel ist Soja, dass ab gewissen Mengen sogar toxisch wirkt. Es wird seit 3000 Jahren konsumiert. Aus Sicht der menschlichen Entwicklung ist das eine kurze Zeit.

Es gibt eine Theorie, die besagt, dass sich Primaten schneller zum Homosapiens entwickeln konnten, weil sie mehr Insekten und Schnecken gegessen haben und dadurch mehr von dem Schilddrüsenhormon T5 aufgenehmen konnten, das sich auf die Entwicklung auswirkt. (Dem Thema widmet sich zum Beispiel das Buch „Wirkkochbuch“)

Noch im Wachstum. Bild: Philipp Horak

Es ist auch gesünder und ethischer Schnecken zu essen, weil diese Lebensform primitiver ist. Schweine zum Beispiel sind intelligente Tiere, haben Gefühle wie wir und bekommen alles mit bis zur Schlachtbank. Eine Schnecke dagegen stirbt in Sekunden im Schlaf.

Außerdem ist die Schnecke genetisch weiter vom Menschen entfernt als das Schwein, das ist gesünder.

Wie kamen sie auf die Schnecke?

Ich bin auf einem Bauernhof groß geworden, hatte aber nie Ambitionen Landwirtschaft zu betreiben.

Ich bin erst durch einen Bericht auf die Schneckenzucht aufmerksam geworden und habe zunächst als Hobby damit begonnen. Dann wurde es mit der Zeit professioneller.

Mittlerweile haben wir ganz viel Publicity durch die Medien bekommen und Aufmerksamkeit aus der Wissenschaft. Ich beliefere auch verschiedene Unis mit Schnecken, die sich wissenschaftlich damit befassen.

Schnecken brauchen viel Feuchtigkeit. Bild: Philipp Horak

Ist Schneckenzucht hier verankert?

Jedes Kloster hatte früher einen eigenen Schneckegarten, noch bis Anfang des 20. Jahrhunderts. Wien galt einmal als Schneckenhochburg.

Betreiben sie sonst noch Landwirtschaft?

Im Moment bauen wir noch Chilis an. Wir planen aber eine Manufaktur in der wir herausfinden möchten welche Produkte in Zukunft für eine „artgerechte Ernährung“ wichtig sein werden und wie sie angebaut werden können.

Dabei haben wir auch Schnecken und Insekten, wie zum Beispiel Mehlwürmer im Hinterkopf.

Es geht darum eine Art „Future Farm“ zu entwickeln und zu sehen, wie sich der Mensch in der Stadt nachhaltig ernähren könnte.

Dazu habe ich hier einen runden Tisch mit den verschiedensten Leuten, auch vom Verein Speiseplan. Dabei sind zum Beispiel Fachleute aus dem Bereich Ernährungswissenschaft, Industriedesign zum Thema Insektenzucht, und Landschaftsarchitektur. Und auch ein Imker.

Anstoß gab das Buch „Wirkkochbuch“, das sich wissenschaftlich mit der Wirkung von Nahrung auseinandersetzt.

Wer das liest und Interesse an der Thematik hat kann sich gerne bei uns einbringen und mitwirken.

Kann die Schnecke eine Alternative zu Rindfleisch oder Schwein sein?

Das muss ich für den Moment eher verneinen. Weil wir täglich Fleisch in Unmengen essen. Dazu bräuchten wir zuerst einen Kulturwechsel. Wir müssten weg vom Fleisch als Massenprodukt und Fleisch als etwas besonders sehen. Eher Biofleisch vom Landwirt des Vertrauens kaufen, als bei den Rabattschlachten mitzumachen. Ab diesem Zeitpunkt wäre es etwas realistischer. Aber jeden Tag Schnecken essen, das wird es auch in Zukunft nicht geben.

Schnecken halten sich lieber im Schatten auf. Bild: Philipp Horak

Wo kann man Schnecken essen gehen?

Im Moment gibt es die Wiener Schnecken hauptsächlich in der gehobenen Gastronomie. Der Trend geht aber auch in Richtung gehobenes Gasthaussegment – das ist für mich spannend. Denn ich möchte sie dort etablieren, wo sie früher einmal zu Hause waren.

Die Schnecke ist ja auch vielseitig einsetzbar – von klassischer bis gutbürgerlicher Küche.

Empfinden Schnecken Schmerzen?

Natürlich empfinden sie eine Art von Schmerz. Das ist ja lebensnotwendig, um zu sehen was tut gut, was nicht. Die Schnecken meiden zum Beispiel das Salz am Zaun, weil sie dadurch austrocknen.

Beim „Schlachten“ ist sie aber im Schlafmodus und stirbt in sekundenschnelle. Dieser Zustand ist natürlich, wenn es nicht genug regnet schläft sie.

Macht so eine Zucht viel Arbeit?

Es ist viel handwerkliche Arbeit das Fleisch küchenfertig zu machen. Abtöten, aus dem Gehäuse holen, den Eingeweidesack abzwicken, das Muskelfleisch entschleimen, drei Stunden kochen. Da gibt es einige Arbeitsschritte in Handarbeit.

Die Zucht an sich macht nicht so viel Arbeit. Man muss die Infrastruktur in Ordnung halten und füttern.

Besucher auf einer Führung durch die Schneckenfarm. Bild: Philipp Horak

Ist alles „Bio“?

Es gibt keine Richtlinie, wie man Schnecken „bio“ züchten kann. Deshalb kann ich den Begriff nicht verwenden. Ich nutze allerdings nur bio Futter. Alle Konsumenten sind außerdem eingeladen sich auf dem Hof umzusehen, wie alles entsteht.

Dazu bieten wir Führungen mit anschließender Verkostung an.

Was ist die Schnecke am liebsten?

Im Prinzip alles was in der Küche übrig bleibt. Also alles mögliche von Salaten über Karotten, bis hin zu Rüben. Und zur Endzeit verwende ich noch ein bio Zusatzfutter. Das besteht aus Mais- und Getreidemehlen und Kalk. Ist aber ohne Soja.

Was macht eine Schnecke den ganzen Tag?

Wenn die Sonne scheint, sucht sie sich einen Schattenplatz, oder wenn es zu trocken ist schläft sie.

Unter ihnen gibt es aber kein Sozialverhalten, jede schnecke frisst für sich.

Wie können die Kriecher überwintern?

Sie graben sich in die Erde ein. Je nach Witterung, etwa im November wenn es kälter wird.

Mit der Öffnung nach oben. Die Schleimschicht wird immer dicker, das Wasser verdunstet – es bleibt ein Kalkdeckel. So schützen sie sich im Winter. Und für den Züchter hat es den Vorteil, dass das Schneckenfleisch dehydriert und luftdicht „verpackt“ ist wie in einer Konserve.

Schnecken im Winterschlaf. Normalerweise graben sie sich in die Erde. Das Häuschen ist mit einem Kalkdeckel verschlossen. Bild: M.Erdorf

Wie viel Fleisch ergibt eine Schnecke?

Fünf Gramm.

Was ist besonders an Weinbergschnecken?

Weinbergschnecken sind nicht solche Gärtnerfeinde wie Nacktschnecken, sie vermehren sich nicht so schnell. Die Relation ist ungefähr 300 Eier zu 30 Eiern.

Wie alt werden Weinbergsschnecken?

Ein bis zwei Jahr werden sie bei mir in der Zucht. In der freien Natur kann sie angeblich acht Jahre alt werden, wenn sie das Glück hat keinem Fressfeind zu begegnen.

Bild: Philipp Horak

Sie werben für Schneckenwochen in der Fastenzeit.

Die Schnecken sind ein kulturelles, kulinarisches Erbe. Sie wurden früher auch oft in der Fastenzeit gegessen, weil die Mönche sie weder Fisch noch Fleisch unterordneten. Wir möchten die Schnecken zur Fastenzeit wieder ins Programm nehmen, auch um den Slow Food Gedanken mit einzubringen. Und um neben den allgegenwärtigen Heringswochen etwas anderes zu bieten.

Haben sie ein Lieblingsgericht?

Am liebsten esse ich Schneckenragout. Oder auch eine scharfe Chilisuppe mit Schnecken.

Andreas Gugumuck. Bild: Philipp Horak

Viele finden Schnecken eklig…

Das ist kulturell gesehen eigentlich komisch. Bis vor 30 Jahren war es normal Schnecken zu essen. Dann wurden sie in den 80er Jahren unter Artenschutz gestellt und sind in den letzen 30 Jahren irgendwie aus dem kollektiven Gedächtins verschwunden. Heute verbindet man ‚Schnecke‘ ja eher mit ‚Nachktschnecke‘, einem Gartenfeind, denkt sie sei zäh und schleimig. Das ist aber nur im deutschsprachigen Raum so. In Griechenland, Frankreich, Spanien oder Italien ist das noch Gang und Gäbe, dort ist es nicht so fremd geworden. Es ist ein wunderbar weiches Fleisch, überhaupt nicht schleimig.

VERWANDTE ARTIKEL