money walks: Spazieren gegen den Kapitalismus

© Eléna Seitaridis

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Flanieren reimt sich auf protestieren und lässt sich nicht nur deshalb wunderbar verbinden. Im Rahmen der Wienwoche werden Hausfassaden zur Projektionsfläche für eine Protestkundgebung der anderen Art.

Harmonija, na ja … raus aus der Wohfühlzone; das will die diesjährige Wienwoche.
Der erste Bezirk ist die Wohlfühlzone Wiens, zwischen Edelrestaurants, Luxusgeschäften und Banken räkelt sich der Wohlstand. Mit den money walks der Vienna Shorts Agentur soll diese Komfortzone aufgebrochen werden, und das wird sie auch. Hier spaziert man von Film zu Film, während dem Gehen wird das Projizierte reflektiert, Meinungen ausgetauscht und mit Experten gesprochen. Kurzfilme, zusammengehalten von einem roten Faden – dem Bank- und Finanzwesen – werden auf Hausmauern projiziert und reiben auf. Die teuren Fassaden der Wiener Innenstadt genauso wie die money walker. Nachhaltigkeit setzt hier in den Köpfen der Zuschauer an, money walks sollen weniger Kreislauf, viel mehr das Bewusstsein anregen. Nach dem money walk nimmt man die Makellosigkeit des ersten Bezirks anders wahr und geht mit offeneren Augen durch die Stadt; man entdeckt die vielen Bank- und Finanzgebäude als einen wichtigen Teil der Innenstadt neu. Biorama ist mitspaziert.

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Projiziert auf die Wand der österreichischen Kontrollbank startet der money walk mit dem schwedischen Gewinner des Goldenen Bärs der Berlinale „Händelse vid bank“ – seines Zeichens selbst ein money walk, und zwar in eine Bank. Zwei Motorradhelmmaskierte starten einen Überfall, und zwei Passanten ihre Handykamera. Eine exakte Echtzeit-Rekonstrukion eines Banküberfalls, der sich im Sommer 2006 tatsächlich so zugetragen hat. Der Überfall geht schief, ein Räuber wird geschnappt. Alles wofür die Augenzeugen sich interessieren: die schlechte Auflösung des Telefons. Was sind schon acht Megapixel?!

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Mitten im goldenen Quartier geht es weiter, zwischen Prada und Gucci, direkt über Louis Vuitton. Der nächste Kurzfilm dauert nur knapp eine Minute – „Bankenkrise“ ist ein kapitalistisches Monopoly-Spiel, es wird spekuliert und investiert. Am Ende fragen sich die Kinder: woher der Staat das Geld, das er den Banken schenkt? Die Antwort ist einfach: Eltern zahlen Steuern, die Banken brauchen kein Risiko einzugehen (das Monopoly-Äquivalent: das risikolose Risikolos).

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„Out of Frame“ ist der Titel des nächste Films – „Out of Frame“ ist man auch an dem Ort wo er gezeigt wird. Ein stiller Innenhof, mitten im Trubel des ersten Bezirks und diesem trotzdem fern. Der Ort wirkt wie eine Oase, von Luxus, Werbung und Kapitalismus ist hier nichts zu spüren, genauso wie in dem Kurzfilm des griechischen Regisseurs Yorgos Zois. Dieser transferiert mit seinen Bildern und der filmischen Geräuschkulisse die städtische Atmosphäre und Motorenlärm mitten in die durchdringende Stille des Innenhofs. Thema des Films: leere Reklametafeln in Griechenlands Städten. Eigentlich abgeschafft wurden die Plakatwände, weil durch deren Ablenkung zu viele Autounfälle hervorgerufen wurden, stehen tut der Film aber für weitaus mehr. Er ist ein Sinnbild für die finanzielle Krise Griechenlands, die schwierige Sozialsituation und alle ungeklärten Fragen über die erschreckende Wirtschaftslage.

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Am Weg zum Franziskanerplatz, wo der nächste Film gezeigt wird, kommt man am Stadtbankogebäude vorbei – die erste österreichische Nationalbank überhaupt. Hier spricht Roland Gratzer – und alles hört zu. Mit seinen Worten leitet er den folgenden Film ein, in dem Donald Duck, Vertreter der amerikainischen Arbeiterklassse, auf Glenn Beck trifft. Gratzer über Glenn Beck: „er ist in erster Linie Libertarian – Regierung ist immer schlecht, man braucht keinen Staat und keine soziale Hilfe, wenn man versagt ist man selber schuld. Er ist Republikaner, kämpft gegen den Umweltschutz und für die Verkaufszahlen seiner Bücher.“ In „Right Wing Radio Duck“ sieht sich der kürzlich arbeitslos gewordene Donald Duck mit Glenn Beck als Radiostimme konfrontiert, der zunächst moralische Unterstützung erhoffen lässt, aber bald dunkle Seiten aufzieht. Er repräsentiert die amerikanische Rechte. Im Mittelpunkt: finanzielle Frustration, die Spaltung der Gesellschaft und die amerikanische Wirtschaftskrise.

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Als vorletzte Projetionsfläche wurde die Koburgbastei gewählt, unlängst Schauplatz der Verhandlungen zum iranischen Atomprogramm. Gut sichtbar auf der ansonsten leeren Mauer: eine Überwachungskamera. Aus dem Banken- und Finanzwesen längst nicht mehr wegzudenken, steht als „Zeichen für Überwachung und Kontrolle, für Sicherheit im Tausch gegen Freiheit“. Der Animationsfilm „Real Estate“ zeigt eine ironische Interpretation der hässlichen Szenerie eines Überwachungsstaates. Bedrohung wird Unterdrückung niedergeschlagen, scheinbare Idylle muss Zäunen und Überwachungskameras weichen. Es spricht Herbert Gnauer von AKA Vorrat, der Verein, der 2012 erfolgreich gegen die Vorratsdatenspeicherung geklagt hat, über Datensicherung und Überwachung.

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Beim letzten Film, der im Zuge des money walks gezeigt wird, befindet sich kein Bankgebäude in unmittelbarer Nähe, dafür eine große weiße Wand. Gezeigt wird der Oscarpreisträger „Logorama“ des Künstlerkollektivs H5. Wer von Product Placement bis dato noch nichts gehört hat weiß spätestens nach diesem Kurzfilm bescheid. Das Wort Werbelandschaft wird von seiner eindimensionalen Begriffsbezeichung losgelöst, die gesamte Landschaft ist hier Werbung, ein L.A. aus Markenlogos. Michelinmännchen jagen Ronald McDonald, die Michstraße geformt aus dem Logo von Milkyway. Auf ein Erdbeben folgt eine Ölpest, die Markenwelt geht dramatisch und unwiderruflich unter. Deutlich wird: Kapitalismus und Konsum ist vieles, bloß eine Sache nicht: nachhaltig.

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