Mit Schirm, Charme und… Austernpilz!

© Eléna Seitaridis

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Wenn Urban Agriculture statt Technopartys die Wiener Undergroundszene aufwirbeln.

Hinter dem Namen Hut und Stiel steckt keineswegs ein Club englischer Bridgespieler aus vergangenen Zeiten – Speisepilze, mit Stiel, Kappe und Lamellen sind in diesem Brigittenauer Keller das Objekt der Begierde. Wie bei dem Kartenspiel kommt es hier auf die richtige Strategie – und Technik an.

Zu Beginn ein kleiner Exkurs in den Lebenslauf des Kaffees, der uns Morgen für Morgen so zuverlässig munter macht. Allen Anfang macht die Kaffeepflanze, deren Bohnen geröstet und dann durch die Mühle gemahlen bald in die Kaffeemaschine gefüllt für Espresso, Melange und Café Latte sorgen. Der verbleibende Sud landet im Restmüll – Zuhause, gleich wie in der Gastronomie. Hier endet der Prozess meistens – aber jener von Hut und Stiel setzt (Pilze) an.

Wer? die Studenten Manuel Bornbaum und Florian Hofer. Ihre Motivation? Zero Waste, den Kreislauf schließen und nutzen, was genutzt werden kann. Das Ergebnis? Hut und Stiel, Austernpilzzucht auf Kaffeesud. Damit der Kreislauf sich endlich schließt.

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Jeder sagt, bei uns schaut’s aus wie in einem Schlachthaus (lacht) – Manuel Bornbaum

Von Pilzen, Platzangst und Plastiksäcken

Die Idee, Kaffeesud zum Anbau von Speisepilzen zu nutzen, ist nicht neu – bereits vor 20 Jahren entsprang sie der Bewegung von Blue Economy, mit dem Ziel das Ökosystem der Erde zu schützen und Abfälle zum neuen Ausgangspunkt macht. Ihr Wissen zur Pilzzucht haben die beiden Studenten unter anderem bei RotterZwam gesammelt, einer Kaffeepilzzucht im urbanen Raum, mitten in Rotterdam.

Zum Pilzanbau benötigt man zunächst ein geeignetes Substrat. Fast zur Gänze aus Kaffeesud, der als Abfallprodukt recycelt wird, muss dieser noch mit etwas Kalk, zur Hebung des PH-Wertes, und Kaffeebohnenschalen versetzt werden, um ideales Wachstum zu ermöglichen. Dieses Gemisch wird dann mit der auf Hirse angesetzten Pilzbrut vermengt.

Das ist wie Kuchen backen. – Manuel Bornbaum

In Plastiksäcke gefüllt, wird das Substrat dann auf Schienensystemen aufgehängt. Aussehen tut das wie in einer Schlachterei. Riechen? Nicht nach Blut sondern eindeutig nach Kaffee. Zu wachsen beginnen die japanischen Schwammerl in einem Raum, wo Frühling ist. Zumindest für die Pilze. Denn durch eine, vom Stoffwechsel des Pilz und Kaffees, selbstregulierte Raumtemperatur, einen hohen C02-Gehalt, wenig Licht und Sauerstoff entsteht für die Austernseitlinge der Eindruck, tief unter der Erde im Wald zu schlummern. Bis die Platzangst kommt – und mit ihr: Pilzpanik im Sack. Denn wenn das Substrat vollständig besiedelt ist, hat der Pilz keinen Raum mehr um sich auszubreiten; erdurchbricht die Plastikhülle. Dieses Zeichen läutet für die Seitlinge wie für ihre Züchter den Herbst ein – es muss gesiedelt werden. In einen feuchteren Nebenraum, der auf etwa 15 Grad heruntergekühlt bei leichtem Luftzug dafür sorgt, dass der Pilz gesund und unbesorgt aus der Kaffee-Erde sprießen kann. Vier Wochen dauert der Zyklus bis zur Pilzernte, die pro Sack dreimal durchgeführt wird.

Was passiert aber mit dem Sud nach der Ernte? Ist der nun nicht auch wieder Abfall? Nein, der Kreislauf ist noch nicht zu Ende. Der verbrauchte Kaffeesud wird zu einem Studienkollegen der beiden in einen alten Kuhstall gebracht. Dort werden eigenhändig Kompostwürmer gezüchtet, die den Sud zersetzen und wieder zu Erde machen.

Dass sich der Kreislauf wieder schließt, und das organische Material wieder in den Boden kommt und nicht erst irgendwo verheizt werden muss. Der verbrauchte Kaffee wird also wieder zur Erde. Das übernehmen wir gerne selbst! – Manuel Bornbaum

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Die Sache mit der Nachhaltigkeit oder warum eigentlich (nicht) bio?

Hut und Stil sind noch nicht (ganz) bio. Eine Sache steht der biologischen Pilzzucht noch im Weg – für ein Zertifikat müsste der recycelte Kaffeesud nämlich ausschließlich Bio sein. Ob das Sinn macht?

Wegg’schmissen is wegg’schmissen… – Manuel Bornbaum

Für die Zukunft besteht das Ziel auf jeden Fall, logistisch ist es aber schwierig nur Bio-Kaffeesud zu bekommen. Einige der Partner haben schon Bio-Kaffee, die Realisierung einer Bio-Zucht geht also vielleicht schon früher als erwartet. Hoffentlich, denn vor allem vermarktungsmäßig wäre für Hut und Stiel dann einiges leichter.

Viele der kleineren Läden verkaufen nur Biogemüse, genauso wie Rita bringt’s nur solches verarbeitet. – Manuel Bornbaum

Nachhaltigkeit für die Pilzzüchter aber ein viel wichtigerer Faktor. Um jene im Produktionsprozess zu komplettieren, hängen nur noch die Plastiksäcke im Wege, in denen die Pilze heranwachsen. Alternativen zu finden ist schwierig – Jutesäcke zum Beispiel sind keine Option, da diese zu viel Angriffsfläche für Schimmel bieten und vom Pilz selbst zersetzt werden. Die einzige Möglichkeit sehen die beiden in abbaubarem Bio-Kunststoff. Der Haken: auch dieder übersteht den Wachstumszyklus der Pilze (noch) nicht.

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Wenn Austernpilze ausziehen

Die geernteten Austernpilze – üblicherweise bis zu 30 Kilogramm pro Woche – werden von den beiden Pilzzüchtern auf diversen Märkten verkauft. Bis jetzt waren sie schon am Karmelitermarkt mit einem Standl vertreten, und wer im Sommer einmal beim Karlsgarten vorbeigekommen ist, konnte Hut und Stiel dort auch beim „Markt der Erde“ antreffen.

Am Markt verkaufen wir ein Kilo Pilze um 16 Euro – das ist dann aber ein richtiger Berg! – Manuel Bornbaum

Die Schwammerl, die nicht den optischen Kriterien entsprechen und allzu krumm geraten sind, werden zu Sugo, Pesto und Aufstrichen verarbeitet.

Den Kaffeesud beziehen Hut und Stiel gratis, er wird von den Pilzzüchtern höchstpersönlich – nachhaltig und umweltfreundlich – bei jeder Wetterlage mit dem Lastenfahrrad abgeholt. Die Reste werden von verschiedensten Cafés, Restaurants und Hotels sowie einigen Altenheimen gesondert gesammelt. Ein besonderer Partner von Hut und Stiel ist das Heuer am Karlsplatz – dort kann man regelmäßig leckere Pilze aus den Wiener Austernseitlingen probieren. Momentan auf der Speisekarte: Lehmofenflade mit Frischkäse und gegrillten Austernpilzen!

Tipp für Zuhause: zum Braten wird geraten! Die Austernpilze schmecken scharf in Öl angebraten, gewürzt mit Salz und Pfeffer wunderbar. Auch als Pilzschnitzel, in der Suppe und als Risotto gut – oder als Grillschwammerl.

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Pilze – in Zukunft – für alle

Hut und Stiel haben große Pläne – und die gehen weit über die (un-)gewöhnliche Pilzzucht hinaus. In Arbeit ist gerade ein DIY-Pilzzucht-Konzept, für alle Kaffeetrinker zuhause. Vorraussichtlich bis Weihnachten daheim zu genießen! Das soll so aussehen: auf die Pilzsporen von Hut und Stil werden jeden Tag die Überresste des Frühstückskaffees gekippt, die 24 Stunden später schon vollständig vom Pilz durchwachsen sind. Dann folgt die nächste Ladung Kaffeesud bis das Glas voll ist und man bald darauf seine ganz eigenen Austernpilze hat. Man darf gespannt sein! Ein weiter Traum für die Zukunft: Pilz-Workshops in Schulen und für private Gruppen.

Bio ist schön, aber ist die Regionalität nicht mindestens genauso wichtig? – Manuel Bornbaum

 

Hinter Hut und Stiel stehen die beiden Studenten Manuel Bornbaum und Florian Hofer – der eine: Agrarwissenschaftler in Ausbildung, der andere am Weg zum Master in Maschinenbau. Up to Date über Hut und Stiel, die Wiener Pilzkultur, bleibt man am besten auf ihrer Facebookpage – zur Seite geht’s hier lang!

 

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