Der Wolf kehrt zurück – Hunde zum Herdenschutz sind schon da

Foto: Ö. Bundesverband für Schafe und Ziegen

Foto: Ö. Bundesverband für Schafe und Ziegen

So langsam wird es ernst. Größere Raubtiere kehren nach Jahrzehnten zurück in den Alpenraum. Für die Einen ist das ein Schritt zur „Re-Naturierung“, für die Anderen ein Problem, schließlich heißen Raubtiere so, weil sie andere Tiere rauben, auch Herdentiere. Im Nationalpark Hohe Tauern läuft bereits ein Projekt zum Einsatz von Herdenschutzhunden. Man möchte auf Wolf, Luchs und Co. eingestellt sein, erklärt uns Johann Georg Höllbacher von der Nationalen Beratungsstelle Herdenschutz im Email-Interview.

Biorama: In allen Nachbarländern Österreichs gibt es mittlerweile wieder Wölfe. Erste Tiere werden seit einiger Zeit auch in Österreich immer wieder gesichtet. Wann ist denn damit zu rechnen, dass es das erste heimische Wolfsrudel gibt? 

Höllbacher: Das ist nicht eindeutig vorhersagbar, da die ökologische Dynamik der Wolfsausbreitung von vielen äußeren Einflussfaktoren abhängt. Fest steht, dass es bereits zwei Einzeltiere in der Steiermark und Kärnten gibt, die sich seit mittlerweile einem Jahr dort aufhalten. Weitere Wölfe konnten bisher nur kurz nachgewiesen werden, bevor sie weiterzogen.

Für den Menschen geht vom Wolf keinerlei Gefahr aus. Die Tiere sind scheu und ziehen sich zurück, wenn sie Menschen wittern. Sie reißen hauptsächlich Rehe und Rotwild. Warum sind sie für Schafe und Rinder dennoch gefährlich? 

Aus Sicht des Wolfes sind ungeschützte Nutztierherden eine leichte Beute, die er mit vergleichsweise geringem Risiko angreifen kann. Wenn sich eine günstige Gelegenheit ergibt, wird der Wolf diese wahrscheinlich nutzen.

In Tirol wird im Nationalpark Hohe Tauern deshalb die verloren gegangene Tradition der Herdenschutzhunde“ wiederbelebt. Bis wann gab es denn im Alpenraum Herdenschutzhunde?

In Österreich wurden Mitte des 19. Jahrhunderts die letzten Luchse, Bären und Wölfe erlegt. Mit dem Wegfall der großen Beutegreifer wurde eine ständige Bewachung der Rinder- und insbesondere Schaf- und Ziegenherden überflüssig. Außerdem wurde durch die zunehmende Intensivierung der Landwirtschaft die Hirtenkultur immer weiter verdrängt und mit den Hirten sind auch ihre Hunde verschwunden. In jüngerer Zeit ist langsam wieder ein Gegentrend zu beobachten und einige beginnen, sich wieder für diese herausfordernde Tätigkeit zu interessieren.

Das Knowhow stammt aus den italienischen Abruzzen, wo der Wolf nie ausgestorben ist. Welche Hunderassen sind denn dafür geeignet?

In Italien ist die vorherrschende Rasse der Maremmano Abruzzese, ein mittelgroßer kräftiger Hund mit rund 65 cm Widerristhöhe und dichtem weißen Fell. Diese italienischen Herdenschutzhunde wurden seit Jahrhunderten in Arbeitslinien von Wanderschäfern und den dort ansässigen Landwirten gezüchtet und auch als Hofhunde eingesetzt. Wenn man heute in den Abruzzen unterwegs ist, begegnen einem die großen weißen Hunde ständig auf den Almen und in Dörfern. Für die italienischen Landwirte sind sie nichts Außergewöhnliches und gehören zum alltäglichen Leben.

Gab es im Alpenraum früher andere Hunderassen?

Für den Alpenraum typische Rassen sind neben dem italienischen Maremmano Abruzzese auch der französische Pyrenäenberghund. Beide Rassen werden auch in der Schweiz für den Herdenschutz eingesetzt. Weltweit gibt es über 50 verschiedene Herdenschutzhunderassen, zum Beispiel die osteuropäischen Rassen wie Kuvasz und Komondor oder die aus Anatolien stammenden Rassen wie Akbas und Kangal.

Maremmano-Abbruzesen, Quelle: Ital. Maremmano-Zuchtverband

Maremmano-Abbruzesen, Quelle: Ital. Maremmano-Zuchtverband

Könnte auch ein Rottweiler oder ein Dackel ein Herdenhund werden?

Nein, sie sind von ihrer Veranlagung und Züchtung her nicht dafür vorgesehen. Herdenschutzhunde arbeiten selbstständig und aus ihrem natürlichen Schutzinstinkt heraus, sind somit nicht mit anderen Hunderassen vergleichbar.

Was kann ein solcher Herdenschutzhund denn gegen ein Wolfsrudel, einen Luchs oder einen Bären ausrichten?

Im Grunde reicht bereits die Anwesenheit eines Herdenschutzhundes oder eines Hirten, um die meisten Wildtiere abzuschrecken. Herdenschutzhunde bringen durch lautes Bellen und ihre imposante Erscheinung einen Beutegreifer dazu, einen Angriff erst gar nicht zu wagen. Außerdem arbeiten Herdenschutzhunde in der Regel nicht allein und können daher auch bei einem Wolfsrudel eine ernstzunehmende Gegenwehr leisten.

Die Hunde für das Pilotprojekt werden aus Italien importiert, wo sie in Schafherden sozialisiert wurden. Können diese Hunde einfach die Herde wechseln und sie genau so beschützen, wie ihre angestammte Herde?

Ja, wenn man die Integration mit Bedacht vornimmt. In der Schweiz werden die Hunde im Winter oft in anderen Betrieben untergebracht als im Sommer und es gibt dort auch eine mobile Eingreiftruppe mit Herdenschutzhunden, die im Ernstfall eine bedrohte Schafherde schützen kann. Bis jetzt war die Integration in unserer Modellregion in Tirol kein Problem. Die Hunde sind zurzeit bei einem der Hirten in dessen Schafherde untergebracht. Bei ihrem Einsatz auf der Alm im Sommer werden sie es auch mit einer größeren Herde zu tun haben, die sich aus vielen verschiedenen Tieren zusammensetzt.

Die Hunde werden in eine Herde von Schafen, Ziegen oder Rindern geboren und beschützen diese instinktiv. Glaubt ein solcher Herdenschutzhund, dass er ein Schaf ist?

Nein, doch er betrachtet sich als Teil der Herde, die seine Familie darstellt. Trotzdem hat er auch eine enge Bindung zum Hirten und lässt sich ganz normal streicheln. Wenn er genug hat, zieht er sich wieder zur Herde zurück.

Welches menschliche Zutun ist notwendig? Wie bringt man ihm das bei? Werden die Herdenschutzhunde abgerichtet?

Nein, Herdenschutzhunde arbeiten selbstständig aus ihren natürlichen Instinkten heraus und können daher nicht zum „schützen“ erzogen werden. Natürlich besteht ein enger Kontakt zum Hirten und sie sind an Menschen gewöhnt. Doch sie arbeiten nicht auf Kommando wie beispielweise Hirtenhunde, die die Herde gezielt nach den Wünschen des Hirten zu ihm treiben. In der Schweiz gibt es Almen, wo Herdenschutzhunden ohne Hirten eingesetzt werden. In unserem Projekt soll allerdings das Zusammenspiel aller drei Akteure – Hirten, Hütehunde und Herdenschutzhunde – getestet werden, da es dadurch auch viele andere Vorteile gibt. So kann die Schafherde beispielsweise gezielt über die Alm getrieben werden und der Gesundheitszustand der Tiere ständig überwacht werden. Wenn etwas passiert, ist der Hirte direkt vor Ort und kann eingreifen.

Verrichtet ein Herdenschutzhund auch andere Aufgaben als die Herde zusammenzuhalten und sie vor Eindringlingen zu beschützen?

Damit Herdenschutzhunde effektiv ihre Herde verteidigen können, muss die Herde möglichst kompakt sein. Ansonsten verteilen sich die Tiere auf mehrere kleinere Gruppen auf der Alm, die die Herdenschutzhunde nicht alle überblicken können. In unserem Projekt handelt es sich um eine sehr große Herde mit mehr als 1.200 Schafen, deshalb sind auch die beiden Hirten und ihre Hütehunde notwendig, um die Herde zu lenken und zusammen zu halten. Nur dann können die Herdenschutzhunde ihrer Aufgabe nachkommen.

Wolfsrudel bestehen im Schnitt aus vier bis sechs Tieren. Wie viele Herdenschutzhunde braucht eine Schafherde, um wirklich sicher vor Wölfen zu sein?

Wie bereits erwähnt geht es in erster Linie um eine abschreckende Funktion. Die Präsenz der Herdenschutzhunde allein reicht aus, um die meisten Wolfrudel abzuhalten, da sie mit massiver Gegenwehr und Verletzungen rechnen müssen. Es gibt keine Pauschalangaben für die Anzahl der Herdenschutzhunde, da es auch von der Größe der Schafherde abhängt und beispielsweise der Lage, exponiert auf der Alm oder im Tal. In unserem Projekt verwenden wir vier Herdenschutzhunde für unsere Herde.

Wie kann man sich das konkret vorstellen, wenn sich ein Wolfsrudel, ein Bär oder ein Luchs seiner Herde nähert? Wird der wach und beginnt zu bellen?

Ja genau. Er wittert die Beutegreifer schon lange vor dem Menschen und wird sofort anschlagen und in die Richtung der Gefahrenquelle zu stürmen. Er vertreibt die Angreifer und kehrt zur Herde zurück.

Reicht die Anwesenheit von Hunden oder kommt es auch zu Auseinandersetzungen zwischen Schutzhunden und Raubtieren?

Ja, das kann durchaus vorkommen. In der Regel ist aber die Anwesenheit von Herdenschutzhunden bereits Abschreckung genug und wird die meisten Wildtiere davon abhalten, einen Angriff zu wagen.

Sowohl in Hundefamilien als auch in Schaf-, Rinder- und Ziegenherden gibt es eine klare Rangordnung. Welchen Status hat denn ein Herdenschutzhund innerhalb einer Herde?

Die Integration in die bestehende Nutztierherde ist einer der wichtigsten Punkte beim erfolgreichen Herdenschutz. Nur wenn die Hunde von der Herde akzeptiert werden und umgekehrt, ist ein zuverlässiger Schutz gegeben und der Herdenschutzhund verteidigt das Territorium seiner Herde.

Und wenn es mehrere Hunde in einer Herde gibt?

Es sollte immer mehrere Herdenschutzhunde in einer großen Herde geben, da im Ernstfall auch ein ganzes Wolfsrudel angreifen kann und die Hunde sonst den Angriff nicht abwehren können.

Nur weil er mit Schafen und Rindern lebt steigt ein Hund nicht auf Gras und Heu um. Wie werden denn die Herdenschutzhunde gefüttert? Muss ein Bauer mehrmals täglich bei seiner Herde vorbeischauen?

Die Hunde sind in ihrer Haltung unkompliziert und an das Leben draußen in Freien gewöhnt, doch eine Versorgung mit Wasser und Futter muss natürlich gewährleistet sein. Die Herdenschutzhunde sind auf der Alm nicht allein, der Hirte ist die ganze Zeit bei der Herde und wird sie versorgen.

War es einfach, Bauern zu finden, die sich am Herdenschutz-Projekt beteiligen?

Ein solches Projekt, wie wir es in Tirol starten, muss von den Beteiligten auf allen Ebenen mitgetragen werden. Daher haben wir nicht nur bei den Landwirten sondern auch in den verschieden politischen Gremien die Zustimmung eingeholt. Wir sind sehr froh, mit der Agrargenossenschaft Kals einen so guten Partner gefunden zu haben. Einige der beteiligten Schafbauern waren auch mit uns in der Schweiz und haben sich letzten Sommer den Herdenschutz dort live angesehen. Doch es ist wichtig die Erwartungen nicht zu hoch zu schrauben, es ist trotz allem eine Premiere in Österreich.

Hatten die davor etwa keine Hunde?

Die meisten der Landwirte haben entweder private Haushunde oder Hütehunde, die sie für das Treiben und Bewegen der Schafherde einsetzen. Die beiden Hirten, die direkt aus der Modellregion in Kals stammen, haben Erfahrung mit Hütehunden, doch nicht mit Herdenschutzhunden. Wir legten daher besonderen Wert auf eine gewissenhafte Vorbereitung und Ausbildung.

Herdenschutzhund im Einsatz, Foto: Ö. Bundesverband für Schafe und Ziegen

Herdenschutzhund im Einsatz, Foto: Ö. Bundesverband für Schafe und Ziegen

Die Weidewirtschaft lebt vom Almbetrieb, der kein ganzjähriger ist. Findet man die Herdenschutzhunde im Winter mit den Tieren im Stall oder unterm Küchentisch?

Die meiste Zeit im Stall. Ein Herdenschutzhund ist am liebsten bei seiner Herde. Man darf nicht vergessen, dass diese Herdenschutzhunde aus einer Arbeitslinie stammen und nicht mit gewöhnlichen Familienhunden vergleichbar sind.

Was wäre denn überhaupt eine Alternative zum Herdenschutz durch Hunde?

Was sich ebenfalls gut bewährt hat ist eine elektrische Einzäunung der Weide. Allerdings wird das in anderen Ländern meist auf kleineren Flächen in Hofnähe oder auf Weiden im Tal durchgeführt. Wir leiten daher eine zweite Modellregion in Salzburg, wo wir diese Methode auch auf einer Alm im alpinen Gelände testen. Wir vergleichen verschiedene Zaunsysteme und untersuchen die Machbarkeit und den Aufwand für die landwirtschaftliche Praxis. Die Modellregion läuft jetzt im dritten Jahr und die ersten Ergebnisse sind durchaus positiv. Mit einer ausreichenden öffentlichen Finanzierung solcher Elektrozaunsysteme, können sie auch bei uns im Alpenraum eine Alternative sein.

In der Schweiz gibt es Versuche mit anderen Herdenschutztieren wie Schutzlamas. Lamas sind sehr wehrhaft und haben sich in den USA bereits gegen kleinere Beutegreifer wie Kojoten bewährt. Außerdem können Eseln eingesetzt werden, doch sie haben eher eine alarmierende als abwehrende Funktion.

In Deutschland ist der Wolf schon wieder stärker verbreitet. Welche Erfahrungen haben Bauern dort mit ihm gemacht?

In Deutschland gibt es ebenfalls Herdenschutzmaßnahmen wie Herdenschutzhunde und wolfssichere Zäunung. Allerdings können wir uns von der topografischen Lage der Schafweiden eher mit der Schweiz vergleichen.

Der aktuelle Wolfsnachweis in Bayern ist ein Beispiel dafür, wie wichtig eine umfassende Aufklärung der Bevölkerung ist, um keine Panik zu erzeugen. Die Nutztierhalter sorgen sich natürlich um ihre Tiere und benötigen Unterstützung, um die Herdenschutzmaßnahmen auch umsetzen zu können.

Wölfe waren in Österreich bislang ja kein Thema. Auch die Bären in der Ötschergegend sind auf mysteriöse Weise „verschwunden“. Wie viele Übergriffe auf Nutztierherden gab es denn hierzulande in den letzten Jahren?

Leider gibt es keine offizielle Statistik, in der alle Schadensfälle gesammelt werden. Doch laut Auskunft der österreichischen Wolf- und Bärenbeauftragten und der Kärntner Jägerschaft gab es im Jahr 2013 insgesamt 40 gemeldete Schadensfälle. Dabei fielen 17 Schafe, 4 Lämmer, 3 Kälber, 1 Fohlen und 47 Bienenstöcke Bären und Wölfen zum Opfer. Zusätzlich wurden 114 weitere Nutztiere über den sogenannten „Kulanztopf“ der Kärntner Landesregierung, Uabt. Naturschutz entschädigt. Insgesamt waren das Schadensersatzzahlungen in der Höhe von rund 60.000 €.

Könnten Herdenschutzhunde auch Wanderer als Bedrohung ihrer Herde wahrnehmen und angreifen?

Normalerweise sind Herdenschutzhunde an die Begegnung mit Menschen gewöhnt, doch trotzdem sollten Sie als Wanderer Abstand zu ihnen halten. Für die Herdenschutzhunde sind Sie ein Fremder und damit ein potentieller Eindringling. Herdenschutzhunde verteidigen das Territorium um ihre Herde und wenn sie überrascht werden oder jemand versucht, durch die Herde hindurchzugehen, werden sie aktiv. Bleiben Sie ruhig und gehen Sie langsam an der Herde vorbei. Vermeiden Sie rasche Bewegungen und Provokationen mit Stöcken. Halten Sie möglichst großen Abstand zu der Herde und versuchen Sie nicht, die Hunde zu streicheln. Sobald Sie sich genügend weit von der Herde entfernt haben, werden die Hunde zur Herde zurückkehren. Alle notwendigen Informationen findet man auf unserer Internetseite www.herdenschutz.at . 

Was gilt es zu beachten, wenn ich beim Wandern selbst mit einem Hund unterwegs bin und auf eine Herde mit Schutzhund treffe?

Am wichtigsten ist es, den eigenen Hund an die Leine zu nehmen und nicht zu versuchen, durch die Schafherde hindurch zu gehen. Ein fremder Hund darf auf keinen Fall zur oder gar in die Herde rennen und diese stören. Halten Sie möglichst großen Abstand und gehen Sie ruhig daran vorbei. Sollte es trotzdem zu einem näheren Kontakt zwischen ihrem Hund und einem Herdenschutzhund kommen, leinen Sie den Hund ab, damit die Hunde ihre Beziehung selbst regeln können. Alle Infos zum richtigen Verhalten bei der Begegnung mit Herdenschutzhunden finden Sie auch in unserer Broschüre und in diesem Video.

 

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