Wie Wachs in deinen Händen

Ob auf dem Meer, im Wald, am Fluss oder in zugigen Großstadtschluchten – gewachste Baumwolle ist weit mehr als bloß wetterfestes Outdoor-Material. Es ist eine Frage des Stils. Über den Siegeszug der Funktionsbekleidung.  

Was dem Néo-Coureur das Holzhackerhemd und die handgefertigte Axt, ist dem Alpineuropäer, so scheint es, die schwarze Mammut-Jacke und das Schweizer Offiziersmesser. Will man die im urbanen Raum beobachtete Häufigkeit des dunklen Oberkleids als Indikator sehen, ist der Wunschgedanke, jederzeit aus dem Großstadt-Dschungel ausbrechen zu können, um sich in seinen angestammten, natürlichen Lebensraum zurückzuziehen, weiter verbreitet denn je zuvor. Auch wenn nur ein Bruchteil dieser hochtechnologisierten Bekleidungsstücke ihrer angedachten Funktion zugeführt wird, ist doch die Entscheidung, den funktionellen Schutz mit der modischen Ausgeliefertheit im großstädtischen Kontext aufzuwiegen, einiges an Sympathie entgegenzubringen. Und zugegebenermaßen hat man sich ja an die langsam eingeschlichene, schwarz-satin-glänzende Charakterlosigkeit von Funktionsbekleidung dieser Kategorie auch unmerklich gewöhnt.
Doch was tun, wenn man sich eben dieser nicht hingeben möchte? Einfach zu mehr Farbe und somit zur übertriebenen Sportlichkeit greifen? Ein kleiner Einblick in die Welt der Funktionsbekleidung mit Charakter.

Am Anfang war das Fell 

Was als naheliegender Wunsch begann – nämlich die positiven Eigenschaften des beäugten Tieres zu übernehmen –, ist heute noch als Prämisse in jedem Lastenheft von Bekleidungserzeugern zu finden: Schutz vor Wind und Wasser und trotzdem uneingeschränkte Atmungsaktivität. Doch das Mammut ist lange tot und das Leder, auf dem die sich ehemals selbstfettenden und somit wasserabweisenden Haare wuchsen wird porös und die Poren funktionieren auch nicht mehr wie einst. Auch das deutlich einschränkende Mehrgewicht dichter Fremd-Körperbehaarung ist nicht zu vernachlässigen. Mit der Erfindung des Webstuhls wurde diese Frisur endgültig gezähmt und die Vorteile des genialen Ausgangsmaterials wurden so nicht nur besser beibehalten, es konnten auch speziell gewünschte Eigenschaften verstärkt herausgearbeitet werden. Der nachwachsende Rohstoff Wolle trat also seinen tausende Jahre langen und scheinbar nicht enden wollenden Siegeszug in unseren Breitengraden an.

Während der Industriellen Revolution traf vermehrt günstige Bauwolle aus Indien in Europa ein. Damit wuchs auch der Wunsch, dem daraus erzeugten Textil ähnliche Eigenschaften wie der Wolle angedeihen zu lassen, die es von Natur aus nicht besaß.
Die damaligen Handelswege im Blick ist es nicht weiter verwunderlich, dass britische Firmen als erste den Ruf erlangten, Bekleidung aus Baumwolle erzeugen zu können, die an ein dem Wetter ausgesetzten Leben am Land angepasst war. Allen voran ist die Firma J. Barbour & Sons zu erwähnen, welche mit der »Barbour-Jacke« beinahe auch einen Gattungsnamen institutionalisiert hat.

1908, keine 15 Jahre nach der Gründung seiner Bekleidungsfirma für Ölzeug, konnte Firmenchef John Barbour mit seiner innovativen Bekleidungslinie nicht nur Farmer, Jäger und die edlen Gutsherren Englands überzeugen, er bewies mit dem damals eher unüblichen Service eines Bestellkatalogs auch Spürsinn für zukunftsträchtige Verbreitungsmethoden. So konnte er seinen Kundenkreis bald bis nach Chile und Hongkong ausweiten. Nachdem Barbour während des Ersten und Zweiten Weltkriegs auch noch zum Lieferanten für das britische Militär berufen wurde,  standen die nach Kriegsende weithin bekannten Kleidungsstücke besonders bei der neuen Gattung der Freizeit-Motorradfahrer hoch im Kurs. Ikonen wie der US-amerikanische Schauspieler Steve McQueen, die willig – weil aus purer Überzeugung – für die Produkte als Testimonials herhielten und die in den 70er und 80er Jahren folgenden Zufriedenheitsbescheinigungen des Britischen Königshauses sorgten dafür, dass die gewachsten Kleidungsstücke – jetzt als Kultobjekte – bis in die Gegenwart aktuell geblieben sind.

Als Firma mit einer ähnlichen Geschichte und selbem besagten Status ist an dieser Stelle Belstaff zu nennen. Als Kompagnie für Motorradfahrerbekleidung gegründet, konzentrierte sich der ebenfalls britische Bekleidungshersteller auf den wachsenden Markt der Hobby-Piloterie und erarbeitete sich so einen außergewöhnlichen Rang im Kleiderschrank eines jeden Draufgängers und Lebemanns. Oder dessen Nachahmern.

Doch nicht nur Großbritannien kann mit solchen modisch-funktionellen Charakterstücken aufwarten. Als der Schwede Åke Nordin Ende der 60er Jahre, kurz nach der Gründung seiner heute weltweit bekannten Firma Fjäll Räven, auf der Suche nach einem passenden Funktionsmaterial für seine Bekleidungslinie mit Zeltplanen-Textil aus Baumwoll-Polyester-Mischgewebe experimentierte, gelang ihm ein ähnlich großartiger Wurf wie Barbour und Bellstaff Jahrzehnte zuvor. Grönland-1000 nannte er sein Material. Diverse Expeditionen in das namengebende Land machten es zumindest im Outdoor-Universum zur Legende.

Doch nicht nur die Möglichkeit, sich von traditioneller Nutzbekleidung optisch zu distanzieren und endlich auch das nach Freiheit riechende Lebensgefühl nach außen hin sichtbar tragen zu können, verhalfen diesen – um es klar zu machen – legendären Kultbekleidungsstücken zu ihrem Status.

Es war vor allem die Haltbarkeit und Einfachheit, die diese – aus heutiger Sicht – eher schlichten Jacken zu einem treuen Begleiter durch alle Abenteuer machten. Haltbarkeit durch ein abriebfestes, dicht gefertigtes Gewebe und Einfachheit durch eine Ausstattung oder Imprägnierung mit der Bedienbarkeit eines Commodore-Joysticks.

How to …Wetterfest 

Im Selbstversuch ist es ein Leichtes zu erfahren, was das im Alltag oder in nicht ganz alltäglichen Situationen, bedeuten kann. Ausgangsmaterial sollte eine Jacke, Mantel oder Anorak aus festem und unbehandeltem Baumwoll- oder -Mischgewebe (der Baumwoll-Anteil sollte zumindest 65 Prozent sein) bilden, der zumindest in Grundzügen dem entspricht, was man für sich als bequem und praktisch empfindet. Je nach Selbstanspruch auf echtes Abenteuer können diese Züge stärker oder milder ausgeprägt sein.

Um daraus eine wortwörtlich waschechte Funktionsjacke zu machen, genügt der Griff zu einem  zum Gewebe passenden, qualitativ hochwertigen Imprägnierwachs wie zum Beispiel Nikwax oder Fjäll Rävens Greenland Wax. Beide sind aus natürlichen und biologisch unbedenklichen Inhaltsstoffen zusammengesetzt und unterscheiden sich praktisch nur in der Art des Auftragens.

Die wichtigste Erkenntnis kommt mit dem Moment, in dem man überlegt, wo man mit der Stoffbehandlung beginnen soll. Denn nicht überall will man mehr Nässeschutz auf Kosten von geringerer Atmungsaktivität in Kauf nehmen – eine Entscheidung, die einem die Hersteller von Membran-Textilien nur zu gerne abnehmen. Sie versprechen homogene Wasserdichtheit und Atmungsaktivität. Dass dies oft auf Kosten der Haltbarkeit geht und zumeist auch nur bedingt der Realität entspricht, ist eine Wahrheit, die jeder für sich selbst finden muss. Für die Wachsimprägnierung gilt jedoch universell: Eine Schicht bedeutet wasserabweisend. Drei Schichten bedeuten wasserdicht. Aber: Keine Schicht bedeutet größtmögliche Atmungsaktivität. Und Fehler beim Auftragen gibt es keine, denn der Vorgang kann über Jahrzehnte geübt werden. Nikwax bietet auch passende Waschmittel an, um etwaige erkannte Überschüsse an Wachs schnell  revidieren zu können,  Greenland Wax ist nach spätestens drei Waschgängen zur Gänze entfernt und muss oder darf erneuert werden. Ein Vorgang, der nicht nur für die Funktionsbekleidung charakterbildend sein dürfte.

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