Gefundenes Fressen #3: Design? Food Design?

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Was ist für Sie Design? Bezeichnet dieser Begriff wirklich das Schöne und Edle? Hier schreiben Sonja Stummerer und Martin Hablesreiter über Essen als essentielles politisches und kulturelles Thema. Zum Dritten.

Design ist größtenteils unsichtbar. Der überwiegende Teil von Industriedesign umfasst Alltagsgegenstände wie die Maschinensemmel, Tiefkühlpizza, Mineralwasserflaschen oder Wegwerfgeschirr. Diese Objekte, nehmen Sie nicht als Designprodukte wahr, denn infolge des Massenkonsums sind viele dieser Objekte Wegwerfprodukte geworden. Design – ob Food oder nicht – steht damit auch an der Schnittstelle zwischen Ressourcenaufwand und Müllproduktion. Nachhaltigkeit im Sinne des Brundtland-Berichtes der Vereinten Nationen von 1987, d.h. als ausgewogenes Verhältnis zwischen ökologischen, ökonomischen und sozialen Aspekten manifestiert sich nicht zuletzt am Umgang einer Gesellschaft mit „ihren“ Objekten. Gegenstände sind politische Player. Betrachtet man Design unter dem Gesichtspunkt eines verantwortungsvollen Umgangs mit Objekten aller Art, so kommt ihm eine enorme politische Rolle zu. Denn Design ist letztlich immer nur ein Medium bzw. ein Mittel zur Umsetzung einer Gedankenwelt. „Gutes“ Design ist immer eine Frage der Zielsetzung. Herkömmliches Industriedesign basierte bislang auf den Prinzipien von Massenproduktion und Massenkonsum. Design als Handlung ist per se politisch!

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In Anbetracht von Klimawandel, weltweiten sozialen Verwerfungen und einer westlichen Gesellschaft der Überproduktion und des Überkonsums muss der Lebensmittelmarkt, ergo Food Design überdacht werden. Biobrot fünf Minuten vor Supermarktladenschluss verlangt nach Teiglingen, also nach Industriedesign. Ein „Coffee to go“ wird weder von einem angestellten Kellner serviert, noch in einer abwaschbaren Tasse gereicht. Wir haben nicht über „food waste“ zu diskutieren, sondern über Überproduktion und damit über das Dogma der westlichen Gesellschaft, über das Wirtschaftswachstum. Ob sich die sogenannte westliche Welt für oder gegen Nachhaltigkeit wendet, wird letztendlich am Umgang mit „dem Objekt“ entscheiden. Das Objekt ist das Subjekt des Kapitalismus. Es ist der Inbegriff von Konsum und Verschwendung – die Falle des Wirtschaftssystems. Egal ob es sich um die Nutzung von „schmutzigen Rohstoffen“ wie seltenen Erden, um ressourcenverschwendende Verkaufssituationen wie den völlig normalen Sortimentssupermarkt, um die bewusste Versklavung der Arbeiter in weit abgelegenen Produktionsbetrieben oder ganz simpel um „food waste“ handelt, das Industrieobjekt ist die Antipode von Nachhaltigkeit. Das Industrieobjekt ist der Preis des Systems Kapitalismus. Es ist das Objekt alltäglicher und individualisierter Begierde. Die Frage die bleibt ist aber, wer diesen Preis jetzt und in Zukunft bezahlen wird. Und das dieser Stelle ist Design gefragt – nicht Industrie- oder Produktdesign, sondern sozial und ökologisch nachhaltige Gestaltung.

Designprozesse sind weder von der Natur noch von der Wirtschaft vorgegeben, sondern gestaltbar. Design macht unser System. Design ist Kultur und Design kann Veränderung werden. Was und wie wir gestalten, ist ein Ausdruck von Kultur, Gesellschaft und Lebenseinstellung. Auf die Versuche, den Klimawandel zu beweisen und Nachhaltigkeit zu rechtfertigen, folgt die Frage wie mit gestalterischen und interventionistischen Mitteln Veränderungen in Verhalten und Denkweise hinsichtlich Objekt initiiert werden können.


Über Gefundenes Fressen:

Jeder Bissen ist ein politischer Akt. Was wir wann wie und warum essen, kann unwürdige Arbeitbedingungen, Bodenerosion in Zentralafrika oder brennende Amazonasflächen auslösen. Die Frage des täglichen Essens hat nichts mit Diäten, Rezepten oder Gourmetkritiken zu tun sondern mit CO2 Emissionen, Fracking oder Gentechnologie. Jeder Biss ist Kultur. Jedes Schlucken ist Politik. Sonja Stummerer und Martin Hablesreiter wollen in ihrem Blog das Essen als essentielles politisches Thema in der Mitte der Gesellschaft positionieren, weil die Aufnahme der alltäglichen Kalorien nicht nur eine Frage von Genuss und Geschmack sondern auch der Lebenseinstellung und Denkweise einer Gesellschaft ist. Erst das Fressen, dann die Moral? Nein.

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