Die Obst-autarke Stadt

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Martin Mollay pflanzt Obstbäume. Was ihn vom Hobbygärtner unterscheidet: Er setzt sie dort, wo sie für alle zugänglich sind und ernten kann, wer Bedarf hat. Denn Grundnahrungsmittel sind ein Grundrecht.

»Die Natur liefert alles, was man zum Leben braucht. Ich will die Flächen, auf denen ich mich bewege, nutzbar machen.« Martin Mollay hat eine klare Vision. Immer schon naturverbunden gewesen, bringt er seit sechs Jahren als Überlebenstrainer Teilnehmern seines Programms die Natur näher. Vergangenen Herbst hatte er die Idee, Obstbäume in Wiener Neustadt zu setzen. Mittlerweile sprießen 70 Bäume, 30 weitere sind schon vorbestellt.

Wiener Neustadt ist nicht unbedingt der erste Ort, der einem einfällt, wenn man etwa an populäre Bewegungen wie Community oder Guerilla Gardening denkt. Genau genommen kann man das Projekt Obststadt auch weder dem einen noch dem anderen zuordnen. Während Community Gardening auf einen für die Öffentlichkeit zugänglichen Garten begrenzt wird, verzichtet Mollay auf einen Zaun und will ganz Wiener Neustadt miteinbeziehen. Die Motive sind aber nahezu dieselben: Neben einem ökologischen Aspekt wie zusätzlicher Sauerstoffgewinnung im urbanen Raum ist Mollays Hauptmotiv der soziale Aspekt: »Der Mensch hat ein Grundrecht auf Wasser und Obst, dafür darf man kein Geld verlangen«, ist er überzeugt. »Dass der Mensch für den Müll zahlt, den er sich täglich reinstopft, ist legitim. Aber Grundnahrungsmittel wie Obst und Gemüse müssen frei sein und angeboten werden.« Daher setzt er sich für eine Obst-autarke Stadt ein und will ein generelles Umdenken bewirken. Die Leute würden zunehmend den Bezug zum Ursprung verlieren, eine Orientierung Richtung Autarkie und globalem Denken sei daher wichtig.

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BILD Obststadt Triebwerk

Der genehmigte Baum

Auch wenn Mollay dem Guerilla Gardening, das in den letzten Jahren für einen kleinen Hype gesorgt hat, etwas abgewinnen kann – die Obststadt lässt sich auch dieser Strömung nicht zuordnen. Jeder Baum, den er setzt, ist offiziell genehmigt. Das widerspricht dem unkontrollierten Grass-Root-Prinzip des Guerilla Gardening, tut der Sache jedoch keinen Abbruch. Denn die Politik steht dem Projekt bisher sehr positiv gegenüber. Auf Anfrage hat Mollay auch schon den Privatgrund eines großen Veranstaltungsgeländes in Wiener Neustadt bepflanzt – unter der Voraussetzung, dass unbeschränkter Zugriff auf die Früchte bestehe.

Neben der Roten Stadtregierung haben auch schon die Grünen den Wunsch nach einem gemeinsamen Projekt anklingen lassen. »Klar, die Politik will einen eigenen Nutzen daraus ziehen«, weiß Mollay. »Ich will mit dem Projekt aber auf jeden Fall überparteilich und bürgernah bleiben.« Skeptiker gebe es trotzdem. »Dann pflanzen die einen an, und andere ernten nur«, heißt es dann. Was Mollay auf keinen Fall will, ist, dass aus den Früchten Profit geschlagen wird. Aufgrund solcher Befürchtungen könne man das Projekt aber nicht schon im Vorfeld verdammen. Tatsächlich sind in der Neustädter Schmuckerau schon zwei junge Bäume gestohlen worden. Trotzdem denkt er weiterhin positiv:»Ich hoffe, dass andere bald selbst mitmachen anstatt zu stehlen. Es ist wesentlich produktiver, gemeinsam als einsam zu denken.«

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Martin Mollay

Ernte mich!

Was soziale Projekte dieser Art betreffe, kennt Mollay auch in Wiener Neustadt Gruppen, die gute Ansätze haben. »Die Menschen trauen sich aber nicht, große Gedanken zu haben.« Sein Projekt soll zukünftig über die Grenzen Wiener Neustadts in die umliegenden Bezirke hinausgehen. Überblick über die frei erntbaren Bäume bietet die Fruit Map, die Mollay auf seiner Website obststadt.at anbietet. Für die Zukunft ist auch eine App geplant, die den Bäumen neben Infos über die Obstsorte auch die jeweilige Erntezeit zuordnen soll. Die Idee einer Visualisierung von Obst im öffentlich-urbanen Raum ist dabei keine neue. Wenn man über die Grenzen Neustadts hinaus blickt, findet man etwa auf fruitmap.at eine ähnliche Darstellung für den Raum Graz.

Ende des Jahres will Mollay 400 Bäume in Wiener Neustadt gepflanzt haben, auch in Töpfen in der Innenstadt. Ein Ticker auf seiner Website zählt mit. Neben Obstbäumen will er auch Gemüse anbauen. Mittlerweile hat er ein paar Anhänger, die gemeinsam mit ihm säen. Mitmachen kann jeder. Solang es ins Konzept passe, Eigennutzen ist nicht erwünscht, trotzdem soll sich niemand in Kreativität und Motivation gehindert fühlen. Eine überparteiliche Initiative mit Wachstumspotenzial – für Obst-Autarkie in Wiener Neustadt.

www.obststadt.at

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