Atom-Klo, nein danke!

Andreas Graf von Bernstorff, einer der Wortführer und Organisatoren des Widerstands gegen das im Gorlebener Salzstock geplante Endlager für hochradioaktiven Müll, hat in Wien seine Vorschläge zur Lösung des drängenden Atommüll-Problems präsentiert.

Der Bürgerprotest in der Bundesrepublik hat Konjunktur wie lange nicht mehr. Nach dem massiven Widerstand gegen das Bahnhofsprojekt in Stuttgart demonstrierten vergangenen Herbst Tausende gegen die Castoren-Transporte zum Zwischenlager Gorleben und stellten neue Rekorde auf: Mehr Aktivisten denn je, mehr Polizisten und nie dagewesene Kosten für den Atommülltransport. Inzwischen hat sich auch die Regierung des betroffenen Lüneburger Landkreises offiziell gegen jede weitere Atommüllfahrt durch ihr Gebiet ausgesprochen, da es keine Katastrophenschutzpläne für einen Unfall mit den Behältern gibt. Ein Jahrzehnt lang schien es, als habe der Kompromiss zum Ausstieg alle Gemüter beruhigt, doch mit der Laufzeitverlängerung für veraltete AKWs, der Wiederaufnahme der Erkundungsarbeiten im Gorlebener Salzstock und den jüngsten Ereignissen in Japan werden brisante Fragen neu gestellt. Neue Lösungen hingegen sind nicht in Sicht, vor allem nicht bei der drängendsten Frage: Wo ist das Endlager, wohin mit dem nuklearen Müll?

Andreas Graf von Bernstorff gehört ein Teil des Waldes, unter dem der Salzstock Gorleben liegt, wo Deutschland sein nationales Atommüll-Endlager errichten will. Seit über 30 Jahren leistet er mit teilweise sehr aktionistischen Maßnahmen dagegen Widerstand. Am 24. Mai war er als Redner zu Gast bei den „ERDgesprächen“ in der Wiener Hofburg und gab in seinem Vortrag  getreu dem Tagungsmotto „Bottom Up“ den 700 Besuchern Impulse dafür, selbst aktiv zu werden und am bewussten Bürgerprotest teilzunehmen.

„Ob es überhaupt möglich ist, ein sicheres Endlager zu finden, muss ja grundsätzlich in Frage gestellt werden“, so der 69-jährige Großgrundbesitzer und Umweltaktivist. „Wir setzen uns dafür ein, dass der für ein Endlager am besten geeignete Standort in Deutschland gesucht wird. Es geht immerhin um 30.000 Generationen, für die der Atommüll sicher untergebracht werden muss, und da kann es nicht sein, dass man einfach irgendeinen Standort auswählt.“

Andreas Bernstorff studierte Forstwirtschaft, ehe er 1967 den 6.400 ha großen land- und forstwirtschaftlichen Familienbesitz übernahm. Im Jahr 1975 vernichtete eine Brandkatastrophe über 2.000 ha Wald in der südlichen Lüneburger Heide. Zwei Jahre später wurden eben diese Waldbrandflächen zum NEZ (Nukleares Entsorgungszentrum) erklärt. 1978 erhielt Bernstorff ein Kaufangebot der DWK (Deutsche Gesellschaft zur Wiederaufarbeitung von Kernbrennstoffen) für seinen 600 ha großen Teil der Waldbrandfläche, welcher zur Errichtung des NEZ gebraucht wurde. Bernstorff lehnte das lukrative Angebot von 30 Millionen D-Mark ab. 1980 begann die technische Erkundung des Gorlebener Salzstocks, um die Eignung des Gesteins zur Endlagerung von hoch radioaktivem Atommüll zu prüfen und das „Nießbrauchsrecht“ über alle Salzrechte zu erwerben. Bernstorff lehnte neuerlich ab. Die Bilder von den Protesten gegen die Probebohrungen und die Errichtung eines Atommüll-Zwischenlagers gingen Anfang der 80er Jahre um die Welt – Zeltdörfer, Sitzblockaden, Prügeleinsätze, Zwangsräumung.

„Von illegalen und gewalttätigen Aktionen habe ich mich immer distanziert und meine Haltung dazu ist völlig klar. Ich lehne sie ab. Es gibt heute genügend Möglichkeiten, sich innerhalb unserer Demokratie und mit Hilfe der Bürgerrechte gegen eine Regierungspolitik zu wehren, die nicht mit dem Willen der betroffenen Bevölkerung übereinstimmt.“ So behauptete Bernstorff, als 1995 die ersten Castor-Transporte nach Gorleben rollen, seine Stellung im eigenen Wald auf kreative Art und Weise. „Ich habe das Recht, in meinem Wald Forstwirtschaft zu betreiben, und da kann es schon passieren, dass Bäume unglücklicherweise die Straße versperren.“

Von 2000 bis 2010 stellte ein Moratorium die weitere Erkundung im Salzstock ruhend. Der Arbeitskreis „Endlager“ erarbeitete von 2000 bis 2009 ein Gutachten für ein alternatives Suchverfahren, um einen geeigneten Endlagerstandort zu finden. Der Gorlebener Salzstock hat nämlich geologische Schwachstellen: Eine vermutete Tonschicht als Deckgebirge ist doch nicht durchgehend vorhanden und es könnte daher Grundwasser eintreten,  alte Laugeneinschlüsse könnten, wenn sie groß genug sind, das Atommülllager fluten, und  in größerer Tiefe liegen wahrscheinlich Erdgasvorkommen. Die Gorleben-Befürworter verweisen stattdessen darauf, dass bereits anderthalb Milliarden Euro in die Erkundung des Salzstocks geflossen sind und allein deswegen die Suche nach weiteren Standorten  wirtschaftlich keinen Sinn macht. So wurde schließlich im Oktober 2010 ein Gesetz zur Laufzeitverlängerung aller deutschen AKWs, zur Fortsetzung der Erkundung des Gorlebener Salzstocks und zur Enteignung der Salzrechte vom Bundestag beschlossen. Die wieder aufgenommene Tätigkeit im Forschungsbergwerk Gorleben wird von Kritikern als verdeckter Ausbau zum Endlager bezeichnet, wie auch die Verlängerung der Laufzeiten für die 17 deutschen Atomkraftwerke in der Praxis 500 neue Behälter mit radioaktivem Abfall für das Zwischenlager Gorleben bedeutet.

 

 

 

 

 

Oben: Zwischenlager u. Tagesanlage Gorleben

Links: Erkundungsbergwerk Salzstock Gorleben

 

„Fukushima hat gezeigt, dass die Atomenergie nicht beherrschbar ist. Sie lässt keine menschlichen Fehler zu und ist deshalb nicht verantwortbar. Dieses Bewusstsein ist jetzt in der Gesellschaft angekommen. Wir hatten noch nie so gute Chancen, aus der Atomtechnologie auszusteigen. Wir selbst produzieren Biogas und Strom im eigenen Biokraftwerk. Außerdem unterhalten wir ein Fernwärmenetz für Schulen und Institutionen in der Region. Es gibt im Landkreis eine Initiative, die sich mit der unabhängigen Produktion von Energie beschäftigt. Die ganze Situation rund um die Endlagerproblematik hier in Gorleben hat da zu einer Sensibilisierung geführt. Das Thema fordert uns zum Handeln heraus.“

Allein in Deutschland fallen 400 Tonnen Atommüll pro Jahr an. Die Erfahrungen im ebenfalls als atomares Endlager vorgesehenen Salzbergwerk Asse rechtfertigen die Bedenken, die Andreas Bernstorff seit mehr als 30 Jahren zur Eignung des Salzgesteins hegt. Nachdem man dort zwischen 1968 und 1978 den gesamten deutschen Atomabfall –  insgesamt 120.000 Blechfässer, darunter 100 Tonnen strahlendes Uran – bedenkenlos untertags verklappt hat, traten 1988 erste Risse in der umschließenden Salzkruste auf, die Wassereinbrüche ermöglichten. Daraufhin wurde begonnen, die verbliebenen Hohlräume in den Stollen mit über zwei Millionen Tonnen Abraumsalz aufzufüllen und zu verschließen. Inzwischen stößt man aber in der Schachtanlage immer wieder auf kontaminierte Lauge und es ist klar, dass radioaktiv verstrahltes Material in die Umwelt gelangen wird. Seit Januar 2010 sieht einen Notplan des Umweltministeriums die Rückholung der eingelagerten Abfälle vor. Ein gern gepriesener Vorteil des Materials könnte dabei zum Nachteil werden: Salz umschließt den Atommüll auf Dauer völlig. Es ist dadurch nahezu unmöglich, das Strahlengift je wieder zu bergen.

Sollte es dennoch dazu kommen, bleibt immer noch die Frage nach dem Wohin. Der knapp 200 Kilometer entfernte Salzstock Gorleben wäre da wohl die erste Wahl. Scharen von Wissenschaftlern und Gutachtern nahmen den Salzstock schon mit unterschiedlichen Ergebnissen unter die Lupe. Auch die Experten der Universität Hamburg haben vor möglichen Wassereinbrüchen wie in Assen gewarnt. Die Energiekonzerne hingegen treiben den Ausbau des Forschungsbergwerks voran. Sie berufen sich auf eine Vereinbarung mit der Bundesregierung, nach der die bisherige Erkundung des Salzstocks Gorleben keine Erkenntnisse ergeben habe, die der Eignung als Endlager entgegenstünden.

Nach den positiven Erfahrungen mit dem Stuttgarter Bahnhofs-Schlichter Heiner Geißler hat Andreas Bernstorff  ein Mediationsverfahren für den Endlager-Streit befürwortet. „Einem ernst gemeinten Mediationsverfahren würden wir uns nicht grundsätzlich entgegenstellen. Allerdings ist ein transparentes Verfahren nur möglich, wenn vergleichende Untersuchungen an anderen Standorten und in anderen Gesteinsformationen durchgeführt werden, damit durch einen Vergleich das bestmögliche Endlager gefunden werden kann.” Bernstorff fordert erneut die Bewertung von alternativen Atommüll-Lagern wie in anderen europäischen Nuklearnationen. Aufgrund der drohenden Katastrophe in Asse sei Salz nur weiter in Misskredit geraten. In Frankreich hat man sich beispielsweise auf ein Tonschiefervorkommen in Lothringen konzentriert, in Finnland soll in Granit eingelagert werden. Doch bislang existiert europaweit für kein Brennelement aus den derzeit 436 betriebenen kommerziellen Meilern ein Endlager.

Damit es aber zu einer dringend notwendigen und verantwortbaren Lösung in Deutschland kommen kann, sind für die Bernstorffs einige Voraus­setzungen unabdingbar zu erfüllen:

 

1. Endlagerkonsens

Wir brauchen ein Endlager, das einen breiten Konsens in der Gesellschaft findet. Parteien übergreifende Konsensgespräche sind angesichts der Langfristigkeit des zu bewältigenden Endlagerproblems dringend erforderlich und wurden leider von der jetzigen Bundesregierung ohne Not im Zusammenhang mit der Novellierung des Atomgesetzes im Herbst 2010, mit den Laufzeitverlängerungen und der Fort­setzung der Erkundung am Standort Gorleben aufgekündigt.

 

2. Ergebnisoffene Forschung

Wir brauchen die Sicherheit, dass ergebnisoffen geforscht wird und kritische Wissenschaftler bei den Gutachten beteiligt werden. Wir haben erlebt, dass Forschungsergebnisse, die eine Eignung des Salzstocks in Frage stellen, manipuliert wurden. Es wurden immer wieder technische und gesetzliche Grundlagen im laufenden Genehmigungsverfahren verändert. Wir mussten auch erleben, dass kritische Wissenschaftler, die zum Ergebnis kamen, dass der Salzstock für die Endlagerung von hochradioaktivem Müll nicht geeignet ist, aus dem Verfahren heraus gedrängt wurden. Wir hatten den Skandal um die Asse, das unverantwortliche Vorgehen, die Vertuschung und Verschleierung mit­erlebt und warten bis heute darauf, dass die Verantwortlichen zur Rechen­schaft gezogen werden und die katastrophalen Zustände in der Asse konsequent aufgearbeitet werden.

 

3. Zwischenlager

Wir brauchen das Vertrauen, dass nicht durch die Beschickung des in Gorleben ober­irdisch errichteten Zwischenlagers Fakten geschaffen werden, welche die Entscheidung für Gorleben als Endlager präjudizieren und zementieren. Diese Castor-Transporte zum jetzigen Zeitpunkt, an dem noch gar nicht feststeht, ob das Endlager geeignet ist, zerstören den sozialen Frieden dieser Region und schwächen das Vertrauen, dass nach bestem Wissen und Gewissen die Eignung des Salzstocks geprüft wird. Wir haben den Eindruck, die politische Entscheidung, dass der Atommüll ein paar Meter weiter im Gorlebener Salzstock endgelagert werden sollen, ist längst gefallen.

 

4. Kriterienkatalog Endlager

Wir fordern schon seit drei Jahrzehnten einen Kriterien-Katalog für die nötige Beschaffenheit des Salzstocks, um die Eignung als Endlager für hochradioaktiven Müll sicherzustellen. Diese Eignungskriterien bleibt man uns bis heute schuldig. Das in drei Jahren vom Arbeitskreis Endlager zur Zeit der rot/günen Regierung erarbeitete Endlagersuchverfahren und das längst fällige Endlagersuchgesetz wurden nicht umgesetzt. Jetzt ist das Moratorium beendet worden und in Gorleben wird weiter gebaut, und zwar ohne andere Standorte zu untersuchen und ohne ein atomrechtliches Genehmi­gungs­­­­verfahren.

 

5. Fragwürdige Strukturhilfen

Wir brauchen das sichere Gefühl, dass ohne Bestechung gearbeitet wird, dass die Betreiber nicht Geld für Wohlverhalten und tatkräftige Unterstützung der Atompläne in Gorleben bezahlen und dass die nötige Transparenz im Genehmi­gungs­ver­fahren gewährleistet ist. In dieser Hinsicht ist mit den im Volksmund so­genannten Wohlverhaltensverträgen viel Vertrauen zerstört worden. Sie haben das kritische Nachfragen und Begleiten der Atompläne durch die Kommunal­politiker ausgeschaltet.

 

6. Gesetzesänderungen, z.B. Atomgesetz, Eigentumsrecht (Lex Bernstorff)

Wir brauchen das Vertrauen in unsere Demokratie, dass nicht Gesetze wegen eines Einzelfalls geändert werden, um politische Ziele zu erreichen, und um widerspenstige Eigentümer von Salzrechten zügig enteignen zu können.

 

7. Alternative Standorte, alternatives Suchverfahren, Endlagersuchgesetz und andere Wirtsgesteine

Wir brauchen die Untersuchung anderer Standorte, damit bei der bisher nicht erprobten Technologie der Endlagerung von hochaktivem Atommüll in einer Salzformation Alternativen zur Verfügung stehen und bei vergleichender Untersuchung der bestmögliche Standort für ein Endlager in Deutschland gefunden werden kann. Es kann nicht sein, dass ein nur so zu verantwortendes Vorgehen von verschiedenen Bundesländern blockiert wird.

 

Als die heute lebende Generation müssen wir Sorge tragen und Entscheidungen fällen, die zu einer sachgerechten, verantwortbaren, wissen­schaftlich, technisch und ethisch auf höchstem Niveau erarbeiteten Lösung führen. Das ist eine schwierige und höchst verantwortungsvolle Entscheidung, weil es weltweit noch kein Endlager für hochradio­aktiven Müll gibt.

Mehr als drei Jahrzehnte kämpft der Graf nun schon von seinem idyllischen Familiensitz Schloss Gartow aus gegen die Atomlobby. Acht Kilometer weiter steht hinter dem Kiefernwald unvermittelt ein Industriebau. Mit gesicherten Hightech-Zäunen wird dort der Blick auf die quadratischen Förderschächte in den Salzstock Gorleben verdeckt. Inzwischen lagern bereits 102 Castor-Transportbehälter mit Nuklearabfällen aus deutschen Atomkraftwerken in der großen Blechhalle. Sollte das Endlager im Salzstock je in Betrieb gehen, fahren die Spezialfahrzeuge mit dem tonnenschweren Müll einfach über die Straße zum weniger als 500 Meter entfernten Stolleneingang. Doch ehe es soweit kommt, wird bereits die nächste Bernstorff-Generation in Person des ältesten Sohnes Fried Verantwortung für den Widerstand der Gutsbesitzer-Familie tragen. Dieser war auch im November 2010 dabei, als 60 Kettensägen-Musiker den Castor-Transportern auf dem letzten Straßenstück vor dem Zwischenlager entgegenmarschierten und mit einem „Motorsägen-Konzert“ ihren unüberhörbaren Protest kundmachten.

VERWANDTE ARTIKEL