Resistenzen: Antibiotika werden langsam gefährlich

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Die Angst vor Antibiotikaresistenz wächst langsam aber sicher. Wenn Antibiotika ihre Wirkung verlieren, werden einfache Infektionen wieder zur Gefahr.  Ein Veterinärmediziner hat uns erklärt wieso und was die moderne Landwirtschaft damit zu tun hat.  

Die Weltgesundheitsorganisation WHO hat dazu vor ein paar Wochen einen alarmierenden Bericht veröffentlicht, und in der Tageszeitung Der Standard hat ein Kommentar darauf aufmerksam gemacht, dass das Thema eigentlich das Zeug zum Auslöser gesellschaftlicher Panik hätte. Die bleibt bisher allerdings aus.

Die Quellen der meisten antibiotikaresistenten Keime und Bakterien finden sich in der Landwirtschaft – oder besser: in der Massentierhaltung. Die WHO geht davon aus, dass inzwischen mehr Antibiotika an gesunde Tiere als an kranke Menschen verabreicht werden. In Österreich zum Beispiel sind es im Jahr 45 Tonnen in der Human- und 60 Tonnen in der Veterinärmedizin.

Dass die Agrarindustrie zu einem so großen Abnehmer pharmazeutischer Produkte geworden ist, hängt auch damit zusammen, dass oftmals ein ganzer Viehbestand mit Antibiotika behandelt wird, auch wenn nur einzelne Tiere erkrankt sind. Die Verlustrisiken im Falle einer Seuche, die gleich den ganzen Stall betrifft, sind für Großlandwirte immens, und dann gibt es da ja auch noch die Interessen von Tierärzten, die auch vom Arzneimittelvertrieb leben.

Wir haben mit dem Veterinärmediziner Berthold Grassauer über Antibiotikaresistenz und den Einsatz von Antibiotika in der Landwirtschaft gesprochen.

BIORAMA: Was bedeutet es überhaupt, wenn ein Keim resistent gegen Antibiotika ist? 

Berthold Grassauer: Im Extremfall wirkt dann kein Antibiotikum gegen diesen Keim. Resistenz ist im Allgemeinen die Widerstandsfähigkeit eines Lebewesens gegen schädliche Einflüsse der Umwelt, z.B.  Parasiten, Infektionen, Krankheitem Klima oder eben Bekämpfungsmittel wie Antibiotika. Beim Einsatz eines Antibiotikums sterben die empfindlichsten Individuen zuerst, die resistentesten überleben am längsten.

Von natürlicher Resistenz spricht man, wenn der Erreger nicht im Wirkungsspektrum des Antibiotikums ist. Die chromosomale Resistenz entsteht durch Mutation, ist also erblich bedingt. Die extrachromosomale Resistenz entsteht durch Genübertragung zwischen Bakterien und durch Viren. Bakterien nehmen Resistenzgene aus ihrer Umgebung auf, zum Beispiel von toten resistenten Zellen. Es können auch Resistenzgene in eine nichtresistente Empfängerzelle übertragen werden. Phagen können durch ihren Vermehrungszyklus auf resistenten Bakterien deren Resistenzgen mitnehmen und auf nichtresistente Zellen übertragen.

Das war nun sehr wissenschaftlich. Also wie führt die Antibiotika-Vergabe zu Resistenzen? 

Die Entstehung von Resistenzen ist an sich ein natürliches Phänomen: die Anpassung an geänderte Umweltbedingungen. Dieses Phänomen kann durch eine Reihe von Faktoren begünstigt werden.

Jeder Einsatz von Antibiotika – in der Human- und Veterinärmedizin – kann auf Grund von Selektionsdruck zur Entwicklung von Resistenzen führen. Bakterielle Resistenzen wurden bereits wenige Jahre nach Beginn der Produktion von Penicillin bekannt. Das Risiko der Resistenzbildung steigt beispielsweise bei unkritischem Einsatz, subtherapeutischer Dosierung, verlängerter oder zu kurzer, wiederholter und bestandsweiser Anwendung von Antibiotika.

Das heißt, wenn man Antibiotika nicht gezielt und nur in bestimmten Fällen, sondern zu oft und zu viel einsetzt, beschleunigt das die Resistenzbildung?

Durch den unangemessenen therapeutischen Einsatz von Antibiotika in der Human- und Veterinärmedizin, die Verwendung von Antibiotika zu nichttherapeutischen Zwecken sowie die Belastung der Umwelt mit Antibiotikarückständen können das Auftreten und die Ausbreitung resistenter Mikroorganismen beschleunigt werden.

Sind die Vergabe von Antibiotika an ganze Viehbestände, obwohl nur wenige Tiere erkrankt sind, oder die prophylaktische Vergabe eher Einzelfälle, oder weit verbreitet? 

Der metaphylaktische Einsatz von Antibiotika ist keinesfalls die Regel, wiewohl er speziell in der Mast, unter strengen Regeln, die in der Tiergesundheitsdienstverordnung normiert sind, zur Anwendung kommt. Prophylaktischer Antibiotikaeinsatz ist verboten.

Auf welchem Weg gelangen antibiotikaresistente Keime und Bakterien zum Menschen?

Der Mensch teilt sich die Umwelt mit vielen Organismen, auch mit Bakterien, die Resistenzen gegenüber bestimmten Antibiotika aufweisen. Resistente Bakterien – krankmachende und nichtkrankmachende – sind überall zu finden. Und es kann laufend zum Austausch von genetischem Material kommen. Vorwiegend geschieht das durch Kontakt, auch über Haus- und Nutztiere. Deshalb sind allgemeine Hygienemaßnahmen – Hände waschen – die erste und wichtigste Vorbeugemaßnahme.

Welche Rolle spielt die Landwirtschaft oder vielmehr die Massentierhaltung insgesamt bei dem Problem? 

Jeder Einsatz von Antibiotika, ob beim Mensch oder beim Tier, führt zu Resistenzen. Also tragen sowohl die Human- als auch die Tiermedizin zum Problem bei.

Foto: Berthold Grassauer

Foto: Berthold Grassauer

In der Massentierhaltung werden inzwischen allerdings schon mehr Antibiotika eingesetzt. Funktioniert die Massentierhaltung überhaupt ohne Antibiotika Einsatz von Antibiotika?

Funktioniert Tierhaltung und funktioniert die Humangesellschaft ohne Antibiotika, müsste man fragen. Und die Antwort darauf wäre: Nein. Antibiotika sind heute unverzichtbar notwendig für die Therapie von bakteriellen Infektionskrankheiten.

Wenn es um den Gebrauch der Antibiotika in der Veterinärmedizin geht, ist unbestritten, dass sie kein Ersatz für optimierte Haltungsbedingungen und gute Hygienestandards sein können. Management- und Fütterungsfehler können und dürfen nicht durch den Einsatz von Arzneimitteln kaschiert werden. Die Anwendung und die Entscheidung für ein bestimmtes Antibiotikum müssen in allen Fällen sorgfältig abgewogen werden. An der Umsetzung diesbezüglicher Leitlinien, die seit letztem Jahr in Kraft sind, wird intensiv gearbeitet. Klar ist, dass Antibiotika nicht prophylaktisch eingesetzt werden dürfen.

Sind Antibiotika in der Bio-Tierhaltung eigentlich komplett tabu? 

In der Bio-Tierhaltung gibt es grundsätzlich keine Einschränkungen, was die therapeutische Anwendung von Medikamenten betrifft, allerdings gelten Tiere, die öfter als drei Mal behandelt wurden, nicht mehr als „bio“.

Tierärzte sind doch Arzt und Apotheker in einer Person, richtig? Wird es dann nicht schwierig, inflationären Antibiotika-Einsatz einzudämmen? 

Zur ersten Frage: Das ist eine Frage der tierärztlichen Ethik, der gesetzlichen Grundlagen der Arzneimittelanwendung und der verbindlichen Leitlinien zum sorgfältigen Umgang mit Antibiotika.

Das sogenannte „Dispensierrecht“ des Tierarztes kann nicht isoliert betrachtet werden. Zahlreiche Rechtsvorschriften, zum Beispiel das Tierarzneimittelkontrollgesetz, reglementieren die Arzneimittelabgabe und im Tiergesundheitsdienst steht die „Minimierung des Arzneimitteleinsatzes“ bereits in der Präambel.

Dazu kommen neue gesetzliche Regelungen. Auf Grund der „Veterinär-Antibiotika-Mengenströme-Verordnung“ müssen seit Anfang 2014 die Pharmafirmen den Bezug von Antibiotika durch die einzelnen tierärztlichen Hausapotheken der Behörde melden. Ein inflationärer Einsatz würde also rasch sichtbar werden. Ab Jänner 2015 müssen die Tierärzte die Abgabe von Antibiotika an die einzelnen Landwirte ebenfalls der Behörde melden. Dann ist eine totale Transparenz gegeben.

Das klingt beruhigend. Würden immer mehr Antibiotika-Resistenzen eigentlich bedeuten, dass einfach Infektionskrankheiten wieder zu einer wirklichen Gefahr würden? 

Ja.

Und was kann man nun dagegen tun? 

Grundsätzlich geht es darum, den Einsatz von Antibiotika zu reduzieren. Dazu kommt ein sachgerechter Einsatz dort, wo er notwendig ist. Leitlinien zum sorgfältigen Umgang mit Antibiotika geben dazu Hilfestellungen. Vieles in der Resistenzentstehung ist noch unbekannt. Hier sind Forschungsanstrengungen zu unternehmen.

In der Humanmedizin sind Verschreibungspraktiken zu überdenken und die Hygiene besonders in den Spitälern ist laufend zu verbessern.

In der Nutztierhaltung sind alle Maßnahmen zu intensivieren, die die Voraussetzung für gesunde Bestände darstellen: Haltung, Klima, Fütterung, Management.

Mediziner, ob Human- oder Veterinärmediziner müssten doch die Konsequenzen von inflationärer Antibiotika-Vergabe kennen. Weshalb greifen sie trotzdem so oft dazu?

Das Wissen der Ärzte und Tierärzte über die Resistenzentwicklung muss sicher laufend aktualisiert werden und der Erwartungshaltung der Gesellschaft und der Kunden muss nicht immer entsprochen werden. Und natürlich spielt dabei auch die finanzielle Tangente eine Rolle. Durch die Intensivierung von Bestandesbetreuungskonzepten, die nicht-medikamentelle Maßnahmen in den Vordergrund rücken, wird dem begegnet.

Wird ihrer Meinung nach genug gegen den inflationären Einsatz von Antibiotika unternommen?

Was ist genug? Genug ist nie genug!

Jedenfalls gibt es aktuell weltweit Aktivitäten, den Antibiotika-Einsatz zu reduzieren. Eine Bewusstseinsbildung bei Ärzten, Tierärzten, Patienten, Landwirten – der Gesellschaft – ist dabei die entscheidende Triebfeder.

Auf europäischer Ebene wird der Antibiotikamarkt schon seit Jahren beobachtet (ESVAC) und es gibt Maßnahmenkataloge der Europäischen Kommission. In zahlreichen Ländern gibt es Monitoring-Programme und in Österreich wurde mit der erwähnten Mengenströme-Verordnung ein wichtiger Schritt getan, der in Zukunft jedenfalls Antworten auf kritische Fragen – „inflationärer Antibiotikaeinsatz“ – geben kann.

WHO Bericht über Antibiotika Resistenz

ZDF-Dokumentation über Antibiotika-Einsatz in der Schweinemast

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